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Großmutters Schuhe

Großmutters Schuhe

Titel: Großmutters Schuhe
Autoren: Renate Welsh
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stört mich der Geruch lang nicht so. Müssen besonders scharfe Zwiebeln sein.«
    »Traurige Zwiebel« , meinte Hanka, »fremdfremder Mann und trotzdem traurig.«
    »Pass auf, dass du dich nicht ins Geschirrtuch schnäuzt« , warnte Lisa und erntete zum ersten Mal einen strafenden Blick von Alban. Es sei seltsam, erklärte er, obwohl sie doch vom Sterben und Begrabenwerden lebten, schließlich kämen so gut wie alle Gäste, wie sie oft schon besprochen hätten, quasi frisch vom Begräbnis, sie könnten also nie vergessen, dass der Tod der ständige Begleiter aller Menschen sei, und trotzdem sei es ein schlimmer Schock gewesen, beinahe als wäre der dicke Mann ein naher Angehöriger. In all den Jahren sei ihm das noch nie passiert.
    Die Köchin nickte. Komisch sei das, ein dicker alter Mann wäre beinahe vor ihren Augen gestorben, und woran hätte sie gedacht? An ihre Oma. Dann erzählte sie von einer Frau, die beim Begräbnis ihres Mannes ohnmächtig geworden und auf den Sarg gefallen sei, bei dem Sturz habe sie sich das Genick gebrochen, ihre Großmutter sei selbst dabei gewesen, und ihre Patentante auch.
    »Alles Menschen bei Begräbnis in eigenes Grab blicken« , sagte Alban. »Schau ich besser, ob sie noch Wünsche haben.«

    »Mir kommt es vor, als säßen wir alle unter einem Leichentuch«, sagte Patricia leise zu David. »Mir schnürt es schon die Kehle zu.«
    Mitten in seiner angeregten Erzählung hatte Alfred sich wie aufgescheucht umgeblickt und einen Satz unvollendet hängen gelassen. Warten war Schwerarbeit, ließ die Muskeln verkrampfen, lag als Last auf den Lidern. Sobald einer sich auch nur streckte oder im Sitzen seine Position veränderte, wandten sich alle Augen ihm zu. Keiner wagte es, aufzustehen oder sich zu bewegen. Für diese Situation war im reichen Kanon der Regeln, die ihr Leben bestimmten, nichts vorgesehen.
    Als nach unendlich langer Zeit draußen Schritte zu hören waren, sprangen alle auf, umringten F. T. und Stefanie, wussten, bevor sie noch eine Frage stellten, was die Antwort war. »Es ist vorbei.« Stefanies Stimme hatte ihren kalten Glanz verloren.
    »Sie konnten nichts mehr machen«, ergänzte F. T. »Vielleicht ist es besser so. Er wäre nie mehr er selbst geworden.«
    Marie und Alfred Schreiber senkten die Köpfe auf ihre gefalteten Hände. Thomas liefen Tränen über die Wangen, als Louise zu Anna ging und sie umarmen wollte, schüttelte sie sie zuerst ab, dann klammerte sie sich an sie. »Ich wollte, ich könnte beten«, schluchzte sie in Louises Schulter.
    »Vater unser«, begann Marie, und alle stimmten ein.
    »Als ich’s zum letzten Mal gebetet habe, hieß es noch
von dannen er kommen wird« ,
murmelte F. T.
    Stefanie nickte. »Irgendwo müssen wir uns ja anhalten.«
    »Ich wollte«, begann Thomas und verstummte.
    »Schade, dass wir keine Kerze haben«, sagte Marie. »Er hat noch so einen weiten Weg.«
    Alex murmelte: »Gute Reise, Eberhard.«
    Patricia nahm ihre Handtasche, hatte Schwierigkeiten, in die Ärmel ihrer Jacke zu finden. »Verzeiht. Ich muss hier raus.«
    »Wir sehen uns ja bald wieder«, sagte Stefanie, merkte plötzlich, dass sie in eine völlig unpassende Schublade ihres gesellschaftlichen Repertoires gegriffen hatte, und lächelte schwach wie um Nachsicht bittend.
    Patricia küsste ihre Wangen, nicht wie sonst die Luft daneben. »Ist ja gut, Tante.«
    Theresa liefen Tränen über die Wangen, sie zog durch die Nase hoch. Stefanie trat hinter sie, umarmte sie. Einen Augenblick lang lehnte sich Theresa an ihre Mutter, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich wein ja nicht wegen …«
    Stefanie drückte sie fester an sich. »Wir weinen doch nie wegen, wir weinen einfach.« Sie reichte Theresa ein Taschentuch.
    F. T. verlangte die Rechnung. »Wir fahren zurück ins Krankenhaus zu Friederike. Jonathan und David, ihr kümmert euch doch darum, dass alle nach Hause gebracht werden?«
    Dittaoma hat wieder einmal recht gehabt. Gib ihm eine Aufgabe und du merkst, was in ihm steckt. Patricia erschrak offenbar, dass sie zwar leise, aber doch gesprochen und nicht nur gedacht hatte.
    Alfred Schreiber hielt ihre Hand einen Moment länger, als der Abschied erforderte. »So oft hat sie von dir erzählt, sie hat dich sehr lieb gehabt, weißt du das?«
    Patricia lief hinaus.
    »Sie hat sich nicht von mir verabschiedet«, jammerte Elvira. »Was habt ihr denn alle? Wartet einen Moment! Ich muss noch mit Eberhard reden, er kann sich nicht einfach vordrängen. Er ist kein schlechter
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