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Großmutters Schuhe

Großmutters Schuhe

Titel: Großmutters Schuhe
Autoren: Renate Welsh
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nicht.«
    »Walum?«
    »Er wird jetzt ins Krankenhaus gebracht, dann werden wir weitersehen.«
    Rainer nickte. »Im Kankenhaus wird er gesund gemacht. Kiegt einen Gips. Ich hab auch einmal einen Gips bekommen. Am Bein. Ein rrrrrrroten.«
    Lisa schenkte Wasser nach, die meisten nahmen sofort einen Schluck, als wäre es Medizin. Nur Elvira stieß Lisas Hand weg, Wasser schwappte über ihren Arm und auf ihren Schoß.
    Wie Herdentiere drängten sie sich aneinander, als gäbe es Sicherheit im Rudel. Niemand wagte es, die Frage auszusprechen, die alle beschäftigte.
    Marie begann aus Bierdeckeln einen Turm für Rainer zu bauen. Alle Augen richteten sich auf sie, machten es schwer, die nötige Ruhe für ihre Aufgabe zu bewahren. Bei jedem neuen Stockwerk, das Marie draufsetzte und das nicht den ganzen Turm zu Fall brachte, atmeten alle erleichtert auf, als läge darin ein gutes Omen. Rainer unterbrach die lähmendeStille. Im vierten Stock, sagte er, wohne er mit seinem großen Hund und mit Marie.
    F. T. fiel das Warten offenbar noch schwerer als den anderen. Immer wieder zückte er sein Mobiltelefon, drückte zwei, drei Tasten, schüttelte den Kopf und löschte die Eingabe wieder. Dann verfiel er minutenlang in eine merkwürdige Starre, um ebenso unvermittelt eine fahrige ziellose Bewegung an die nächste zu reihen. Stefanie stand auf, schlug ihm vor, eine Runde ums Haus zu gehen, hängte sich bei ihm ein. Als sie zum zweiten Mal vor der Linde standen, meinte F. T., jetzt könnten sie doch im Krankenhaus anrufen, schon um Anna und Thomas diese unerträgliche Ungewissheit zu nehmen. Stefanie stellte ohne ihre übliche Schärfe fest, dass die Ungewissheit ihn wahrscheinlich mehr belaste als Eberhards Kinder und Enkel. F. T. schaute sie von der Seite an und sagte einfach: »Die sind auch nicht zwei Jahre älter als er.«
    »Hast du Angst?«
    Er zuckte mit den Schultern.
    »Natürlich hast du Angst«, sagte sie. »Ich habe auch Angst. Es kommt immer näher.«
    Er drückte ihren Arm. »War ja auch ein bisschen viel auf einmal. Zuerst begraben wir deine Mutter und dann … Wenn es wirklich das Ende war, hat er Glück gehabt, beneidenswert viel Glück. Gerade hat er das Richtige gesagt und wir waren ihm alle dankbar dafür, das hat er dann mitgenommen. Wenn wir etwas mitnehmen können. Vor dem Tod habe ich keine Angst, aber vor dem Sterben. Man will doch halbwegs mit Anstand gehen. Ditta hat es geschafft.«
    »Aber einen ziemlichen Scherbenhaufen hinterlassen.« Stefanie zog die Hand aus seinem Arm, rieb mit zehn Fingern ihre Stirn. »Wenn sie es mir doch selbst gesagt hätte,dann hätte ich mich ernst genommen gefühlt. So ist es, als wollte sie mir klarmachen, dass ich damit nicht umgehen kann, wenn ich nicht meinen Teil und noch ein bisschen dazu bekomme.« Sie lachte auf. »Womit sie leider nicht unrecht hatte.«
    F. T. straffte sich, sagte entschlossen: »Ich rufe jetzt an. Weißt du, in welches Krankenhaus man ihn gebracht hat?«
    Sie hob die Schultern, ließ sie fallen. »Vielleicht in die Universitätsklinik?«
    »Vielleicht.«
    Lisa meinte, dass die Rettungsfahrer vermutlich erst unterwegs erführen, wo ein Bett frei wäre. Im Vorraum war kein Telefonbuch, sie musste also in die Küche gehen. Alban und Bärbel standen immer noch am selben Platz und hielten einander fest. Als sie Lisa sah, machte sich die Köchin los. »Jetzt muss ich neue Zwiebeln schneiden, sonst gibt’s morgen kein Gulasch.«
    F. T. war es längst nicht mehr gewöhnt, irgendwo selbst anzurufen. Er war es noch weniger gewöhnt, dass man ihm eine Auskunft verweigerte.
    »Denk an deinen Blutdruck!«, mahnte Stefanie.
    »Mein Blutdruck kann mich …«
    Nach dem zehnten vergeblichen Telefonat hätte er am liebsten Gitti angerufen, tüchtig wie sie war, hätte sie bestimmt in kürzester Zeit die richtige Antwort bekommen, aber gerade am heutigen Tag wäre es ihm unpassend erschienen, sie um Hilfe zu bitten. »Ich fahre hin, wir wollen doch sehen, ob sie mich so leicht abwimmeln können.« Stefanie bestand darauf, ihn zu begleiten, schließlich sei Friederike ihre Schwester, wer sonst könne ihr also beistehen.
    Louise fragte Alfred, ob er etwas Neues von den Ausgrabungen in Vergina gehört habe, und löste ihn damit aus demtranceartigen Zustand, in den er verfallen war. Leise begann er zu erzählen, merkte offenbar nicht, wie ihm nacheinander alle zuhörten.

    In der Küche schnitt Bärbel Zwiebeln. Ihre Augen tränten. »Komisch« , sagte sie, »sonst
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