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Großmutters Schuhe

Großmutters Schuhe

Titel: Großmutters Schuhe
Autoren: Renate Welsh
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Ansporn gibt, nicht müde zu werden, weiterzumachen.«
    Thomas und Anna starrten ihren Vater an. Friederike kreuzte die Arme vor ihrer Brust, als müsse sie sich an sich selbst festhalten. Eberhard nickte ihr zu, griff nach seinem Wasserglas und nahm einen tiefen Schluck.
    Gleich darauf sank er in sich zusammen. Friederike sprang auf, rief seinen Namen. Seine Antwort war unverständliches Gebrabbel. Sein rechter Mundwinkel hing schief nach unten, ebenso das rechte Augenlid, ein Speichelfaden trenzte auf das Damasttischtuch.
    Friederike trat hinter ihn, legte ihre Arme um seine Schultern, drückte seinen Kopf an ihre Brust. »Das geht nicht,Eberhard, das geht wirklich nicht«, flüsterte sie in sein Ohr. »Das darfst du nicht. Nicht jetzt! Eberhard, Lieber. Liebster. Eberhard.«
    Beinahe synchron zückten alle ihre Mobiltelefone. David schaffte es als Erster, die Nummer der Rettungszentrale zu wählen.
    »Da hebt niemand ab«, klagte Louise.
    Friederike wiegte Eberhard vor und zurück. Stefanie legte zwei Finger auf seine Halsschlagader, lockerte behutsam den Krawattenknoten, öffnete den obersten Hemdknopf.
    »Sie kommen sofort«, sagte David.
    Marie kniete sich neben Eberhard, löste seine Schuhbänder, als sie ihm die Schuhe ausziehen wollte, lief ihr Gesicht dunkelrot an vor Anstrengung. »Wir sollten ihn flach legen und die Beine hoch lagern«, drängte sie.
    F. T. erklärte, es sei eindeutig besser, auf den Notarzt zu warten.
    Friederike summte im Rhythmus ihres Wiegens tonlos vor sich hin.
    »Heile, heile Segen«, krähte Rainer, verstummte aber sofort.
    Thomas stützte den Kopf in die Hände und betrachtete seine Eltern, als hätte er sie nie zuvor gesehen.
    Alban stand in der Tür, seine Haltung zeigte unmissverständlich, dass er zu jeder Hilfeleistung bereit war.

    Mit dem Kochlöffel in der Hand starrte Bärbel in den großen Topf, in dem Zwiebeln dunkelbraun und dann schwarz wurden. Als beißender Rauch aufstieg, schüttelte sie sich, packte den metallenen Griff, riss den Topf von der Feuerstelle, der Deckel klapperte über den Fliesenboden. Sie drehte sich zum Waschbecken, hielt die Hand unter fließendes
kaltes Wasser, Tränen rannen ihr über die Wangen. Alban kam in die Küche, legte den Arm um sie, sie versteckte ihr Gesicht in seiner Halsgrube. »Nicht weinen« , murmelte er, »nicht weinen.« – »Ich heul ja nur, weil die Zwiebeln so scharf sind« , behauptete sie stockend, während ihre Tränen sein Hemd durchnässten. »Und meine Oma …« Sie bekam Schluckauf, konnte nicht weitersprechen. Alban legte die Arme um sie, sie klammerte sich an ihm fest. Lisa nahm eine Wasserkaraffe, gab Hanka einen Wink, ihr zu folgen.

    Später würden die Familienmitglieder endlos darüber diskutieren, wie viel Zeit von Davids Anruf bis zur Ankunft der Rettungsleute vergangen war. F. T. sagte, er habe auf die Uhr geschaut, und es seien knapp sieben Minuten gewesen. Niemand glaubte ihm.
    Als der Arzt mit den beiden Sanitätern ins Extrazimmer trat, löste sich die Erstarrung. Mehrere Stimmen wollten gleichzeitig berichten, was geschehen war. Der Arzt hielt Eberhards Handgelenk, bat mit einer knappen Bewegung um Ruhe, die Sanitäter legten Eberhard auf die Trage. Während der Arzt seinen Blutdruck maß, dann mit einer kleinen Taschenlampe in Eberhards Pupillen leuchtete, streichelte Friederike unablässig die schlaffen Wangen.
    Der Arzt gab den Sanitätern ein Zeichen, sie hoben die Trage an. Je schneller sie ins Krankenhaus kämen, umso eher habe der Patient eine Chance, wehrte der Arzt die von allen Seiten herandrängenden Fragen ab. In einer Stunde würde man mehr wissen. Er nahm Friederikes Ellbogen und führte sie zum wartenden Wagen.
    Eberhards rechter Arm rutschte von der Trage, hing schlaff herunter, wurde von den raschen Schritten der Männer in schwingende Bewegung versetzt.
    Gerade in diesem Augenblick wachte Elvira auf, sah den pendelnden Arm und begann zu schreien. »Ich bin dran, Eberhard! Du hast dich vorgedrängt! Das gilt nicht! Ich bin dran! So dürft ihr mit mir nicht umgehen.«
    Alle warteten darauf, dass ein anderer antworten würde, vermieden jeden Augenkontakt, starrten vor sich hin. Elvira wiederholte in einem eigentümlichen Singsang: »Ich bin dran!«
    Nun fand Rainer offensichtlich, dass er lang genug geschwiegen hatte.
    »Issertot?« Die Wörter liefen ineinander über.
    Marie war es, die sich aus der Erstarrung löste. Sie hob ihn wieder auf ihren Schoß. »Ich glaube
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