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Großmutters Schuhe

Großmutters Schuhe

Titel: Großmutters Schuhe
Autoren: Renate Welsh
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Freunde ihrer Liebe und Achtung zu versichern, ganz und gar verfehlt, ja sogar ins Gegenteil verkehrt habe.
    Elvira riss die Augen auf, hob die linke Hand, zeichnete mit dem Zeigefinger eine Schraube in die Luft.
    Patricia begann zu kichern, je mehr sie sich bemühte, ernst zu bleiben, umso mehr schüttelte es sie und steckte nach und nach die meisten anderen an. Mit merkwürdig steifen Schritten kam Theresa herein, setzte sich auf ihren Platz, starrte ins Leere. Niemand beachtete sie.

    Schließlich schallte das Gelächter bis in die Küche. »Jetzt sind sie endgültig verrückt geworden« , stellte Bärbel fest. »Überhaupt kein Benehmen. Dabei hätte man gedacht, das wäre eine richtig feine Familie. Schade. Zwar, bei den Begräbnissen in unserem Dorf kommt auch ein Punkt, wo sie Witze erzählen und lachen, aber das ist doch ganz anders.«
    »Ja, die Lachen ohne Lust, ohne Witz, sind schlimme Lachen. Ganz schlimme. Machen Löcher in Magen, Galle in Mund« , sagte Alban.
    Hanka fragte, ob sie Magenbitter anbieten solle.
    Alban schüttelte den Kopf. »Bitter genug. Manche Kummer machen Schnaps gut, diese Kummer machen Schnaps schlecht. Wär gut Melissentee mit Honig.«
    Bärbel lächelte ihn an, er war der Einzige, der die Zärtlichkeit
in diesem Lächeln nicht sah. Sie könne sich vorstellen, sagte sie, wie die Herren reagieren würden, wenn er ihnen jetzt Melissentee hinstellte. Ganz abgesehen davon, dass sie sowieso keine Melisse habe.

    Eberhard schlug mit der Faust auf den Tisch, einige Gläser hüpften, zwei stießen aneinander und erzeugten dabei einen hohen, schrillen Ton.
    »Fis«, sagte David leise, aber alle hörten ihn. Eberhard stand auf.
    Schon bei seinen ersten Worten hob Friederike den Kopf und sah ihn fassungslos an. Das war nicht der Sprücheklopfer vom Dienst, das war der Mann, den sie vor beinahe fünfzig Jahren kennengelernt hatte, älter natürlich, aber so älter geworden, wie sie es damals erhofft hätte, wenn sie überhaupt ans Älterwerden gedacht hätte. Er redete nicht in Floskeln, sprach sehr einfach und überzeugend. Er habe seine Schwiegermutter immer gerngehabt, sagte er, und es sei ihr gutes Recht, mit ihrem Eigentum zu verfahren, wie sie es für richtig halte. Außerdem habe er überschlagsmäßig ausgerechnet, wie viel Ditta Marie in den sechzig Jahren schuldig geblieben war, wenn man nur den ihr zustehenden Mindestlohn rechne. Mit Zinsen und Zinseszinsen übersteige der Betrag mit Sicherheit den Wert von Wohnung und Lebensversicherung.
    Andreas erwischte sich selbst dabei, wie er nickte, ergriff eine Serviette und begann, den Mund seines jüngeren Sohnes zu säubern, was natürlich zu empörtem Gebrüll führte.
    Mit erhobener Stimme schloss Eberhard: »Wir sollten Ditta dankbar sein, sie erspart uns allen, uns schämen zu müssen dafür, dass Marie all die Jahre lang schamlos ausgenutzt wurde, wahrscheinlich in aller Unschuld und mitihrem Einverständnis, aber das ändert nichts daran, dass da sehr viel Unrecht geschehen ist, dass unsere liebe Ditta Marie sehr viel schuldig geblieben ist. Und jetzt wollen wir auf die beiden trinken, auf Ditta und auf Marie.«
    Alle standen schon, als Stefanie zögernd und leicht zitternd auf die Füße kam.
    »Verzeih mir, Marie. Bitte verzeih mir. Ich … ich bin so durcheinander. Ich wollte, ich könnte alles zurücknehmen, was ich gesagt habe. Ich weiß wirklich nicht, was in mich gefahren ist, es war auch gar nicht das Haus … Es war diese Ohrfeige von Mama, dass sie nicht an uns geglaubt hat. Dass sie nicht gedacht hat, wir würden von uns aus das Richtige tun. Und das Schlimmste ist, dass sie … dass sie nicht unrecht hatte damit, was mich betrifft jedenfalls. Marie, du verdienst das Haus mehr als wir, mehr als jede andere. Es tut mir leid.«
    Marie schnäuzte sich. Es war sehr still im Raum, sogar Rainer und Yve saßen völlig ruhig und starrten von einem Erwachsenen zum nächsten. Immer wieder befeuchtete Marie ihre Lippen. Als der Faden einer Glühbirne im Luster zersprang, zuckten alle zusammen. Endlich schaffte es Marie, mit hoher, brüchiger Stimme zu sagen: »Ist schon gut. Aber ich will das nicht. Ich will das Haus nicht.«
    Stefanie begann zu weinen, ihre Schultern bebten. »Ich schäme mich so«, flüsterte sie. »Ich hab alles kaputt gemacht. Es hätte schön sein können und richtig, aber ich habe es kaputt gemacht.«
    Plötzlich fand Marie ihre normale Tonlage. »Du hast es gesagt, andere haben es gedacht. Ich bin froh, dass
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