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Großmutters Schuhe

Großmutters Schuhe

Titel: Großmutters Schuhe
Autoren: Renate Welsh
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die Familienverhältnisse erklären zu müssen, und irgendeine von denDamen, die zu Besuch kamen, fing unter Garantie an zu rechnen und sagte stirnrunzelnd und kopfschüttelnd, aber da war der Fritz doch erst vierzehn! und blickte sich hilfesuchend im Zimmer um, und ich stand da in meinem dunklen Kleid mit dem Tablett in der Hand. Natürlich war es mir auch peinlich, aber gleichzeitig hatte ich so ein perverses Vergnügen daran, wenn sich alle gewunden haben wie die Aale. Ich war eben ein Dienstmädchen, die Arbeit konnte ich inzwischen gut, warum sollte ich ihnen zuliebe etwas anderes sein, nur damit sie sich nicht mit mir genieren müssten? Das Geld vom Alten hab ich wie gesagt nicht angerührt, ich hab meinen Sohn allein erhalten, zu seiner Promotion hat er das Sparbuch bekommen. Von deinem Großvater, habe ich gesagt. Ich habe Edith angeboten, mir eine andere Stellung zu suchen, aber davon wollte sie nichts wissen. Wenn du schon so stur bist, dann kannst du diesen Haushalt führen und ich den Laden, wir haben ja Glück gehabt, die besten Stoffe hab ich hier im Keller aufbewahrt, es wird eine Weile dauern, bis die Konkurrenz solche Qualität bekommen kann, und das Geld brauchen wir auch. Außerdem ist es besser für den Kleinen. Untersteh dich, dich bei mir zu bedanken, sagte sie, noch bevor ich auf die Idee gekommen wäre. Aber natürlich war ich ihr dankbar, ich hatte mein schönes Zimmer im ersten Stock, mit Balkon sogar, sie vertraute mir völlig, prüfte nicht einmal das Haushaltsbuch, ich konnte mir die Arbeit einteilen, und sie bestand darauf, dass die Wäscherin wie bisher alle drei Wochen kam. Nach ihrem Fünfundsechzigsten sagte die Frau Karolin, sie schafft es nimmer, und Edith hat eine Waschmaschine gekauft. Mir hat’s leidgetan, ich hab mich gern mit der Frau Karolin unterhalten, sie hat ein so schweres Leben gehabt und so herzlich lachen können, auch über sich selbst. Die Arbeit warnicht das Problem, ich hätte gut und gern verzichten können auf den alten Mann, der sich um den Garten gekümmert hat, und auch auf seinen Sohn, der alle sechs Wochen die Fenster putzte. Aber die Mädchen. Kein Mensch kann sich vorstellen, was es bedeutet, mit zwei Mädchen zusammenleben zu müssen, die sich nichts, aber schon gar nichts sagen lassen. Ich war ja auch nur knapp zehn Jahre älter als sie, woher hätte ich da eine Autorität nehmen sollen? Wie sie die Brauen heben konnten, wenn ich eine von Ediths Vorschriften durchzusetzen versuchte, bis weit über den Haaransatz hinaus, ich schwöre, auch wenn das unmöglich ist, sie konnten es. Und wie sie schauten. Als »unsere Beinahe-Tante« stellten sie mich vor, wenn sie das Haus mit jungen Leuten füllten, ihr Vater war ja damals schon ständig unterwegs, »in Geschäften«, sagte Edith, mit einer Betonung, die einen seiner Wutanfälle hervorgerufen hätte, wenn er sie je gehört hätte. Mit immer lebhafteren Ausschmückungen erzählten die Mädchen ihren Freundinnen meine Geschichte, ich bin sicher, sie weideten sich daran, dass es mir so unangenehm war. Andreas holten sie aus seinem Bettchen, reichten ihn von Arm zu Arm, kitzelten ihn, bürsteten seine weichen dunklen Haare zu verrückten Frisuren und gaben ihn mir erst zurück, wenn es aus seiner Hose tropfte. Wie ich sie gehasst habe. Umbringen hätte ich sie können. Aber wenn Edith heimkam und fragte, ob wir uns gut amüsiert hätten, lächelte ich und nahm ihr den Mantel ab. Ich war feige, Gott, war ich feig. Aber das war auch die Zeit, damals streckten nicht einmal Verheiratete ihre Bäuche so stolz heraus, wie das heute auch die Ledigen tun, die heißen ja nicht mehr ledige, sondern alleinerziehende Mütter. Beim Aufräumen haben die Mädchen immer geholfen, das schon. Wenn Edith die Tür öffnete, war alles, wie es sein sollte. Ichglaube fast, diese hektischen Dreiviertelstunden, wo wir zu dritt kehrten, Staub saugten, Geschirr wuschen, Abfall wegtrugen, Flecke im Holz polierten, waren die besten Zeiten, die ich mit den Mädchen erlebt habe. Ich sehe noch Rieke mit diesem blonden Knaben auf dem Teppich in ihrem Zimmer, halbnackt, seine Haut war so gleichmäßig braun und das blonde Fell auf seinen Armen und Beinen hat geleuchtet im Lampenlicht. Keine Ahnung, was ich gestottert habe, bestimmt etwas sehr Dummes, jedenfalls setzt sich Rieke auf, wackelt mit einem Finger vor ihrem Gesicht hin und her und sagt in einem merkwürdigen Singsang: »Jaja, unsere Marie, die tapfere Kämpferin für die
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