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Sumpffieber

Sumpffieber

Titel: Sumpffieber
Autoren: Vicente Blasco Ibañez
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der Unterhaltungen an Winterabenden. Auf der anderen Seite floß die unendliche Fläche der Reisfelder hinter Sollana und Sueca mit den fernen Bergen zusammen. Die Sicht geradeaus war noch durch Inselchen verdeckt, zwischen denen die Barke, das Röhricht mit dem Segel streifend, sich vorsichtig hindurchwand. Strähnen dunkler Pflanzen, gallertartige, klebrige Fühlfäden, stiegen bis zur Oberfläche und wickelten sich um die Stange des Führers, und vergeblich sondierte man diese faulige Vegetation, in der es von den Tieren des Schlammes wimmelte. In aller Augen konnte man denselben Gedanken lesen: wer hier hineinfiel, kam schwerlich wieder heraus.
    Durch die binsenbesetzten Tümpel am Strande patschte gemächlich eine weidende Stierherde. Einige Tiere waren zu den nächsten Inselchen geschwommen, wo sie, zwischen dem Röhricht bis zum Bauch im Morast versunken, träge wiederkäuten. Ab und zu zogen sie schwerfällig einen Huf aus dem laut schwappenden Sumpf. Es waren große, schmutzige Tiere mit krustenbedecktem Rücken, riesigen Hörnern und ständig sabberndem Maul. Wild hoben sie den massigen Kopf nach der Barke, wobei eine Wolke dicker Moskitos aufschwärmte, um sich gleich darauf von neuem auf dem faltigen Nacken niederzulassen.
    Ein Stückchen weiter kauerte auf einer Anhöhe, die nichts anderes war als eine schmale Schlammzunge zwischen zwei Wasserflächen, ein Mann.
    »Es ist Sangonera!« [Sangonera = Blutegel.] riefen die Leute von Palmar, »der Säufer Sangonera!« Und ihre Hüte schwenkend, fragten sie ihn, wo er den Rausch erwischt hätte und ob er dort zu schlafen gedächte.
    Sangonera machte keine Bewegung. Da ihm aber schließlich das Geschrei doch lästig wurde, erhob er sich, drehte der Barke den Rücken zu und versetzte sich zum Zeichen seiner Verachtung ein paar Kläpse auf den Hosenboden.
    Das Gelächter auf der Fähre verdoppelte sich, als er aufstand. Ein wunderlicher Anblick! Seinen Hut krönte ein großer Feldblumenstrauß; auf die Brust herunter hing ein Gewinde von Glockenblumen, und ein anderes schlang sich um seine Taille.
    Ah, tüchtiger Sangonera! Es gab keinen zweiten wie ihn in den Dörfern am See. Er hatte sich fest vorgenommen, nicht zu arbeiten wie die anderen Männer – denn Arbeit, sagte er, sei eine Beleidigung Gottes. Dafür verbrachte er den Tag auf der Suche nach einer guten Seele, die ihn zum Trinken einlüde. Er betrank sich in Perello, um in Palmar zu schlafen; soff in Palmar, um am nächsten Morgen in Saler aufzuwachen. Und feierten die Dörfer an der Küste des Festlandes ihre Schutzheiligen, so suchte er auch in Silla oder Catarroja irgend jemandes habhaft zu werden, der in der Albufera Reis baute. Ein Wunder, daß sein Leichnam noch nicht in einem der Kanäle aufgetaucht war, nach so vielen Fußmärschen über den See, total betrunken den Grenzscheiden der Reisfelder – schmal wie der Rücken einer Axt – folgend, bis zur Brust im Wasser durch die Schleusen der Kanäle und quer über die Stellen von Saugschlamm stolpernd, die niemand, außer im Boot, zu passieren wagte. Die Albufera war sein Haus. Sein Instinkt als Sohn des Sees holte ihn aus jeder Gefahr heraus, und manche Nacht tauchte er, um ein Glas Wein zu erbetteln, in Cañamels Taverne auf mit dem schleimigen Kontakt und dem Schlammhauch eines wirklichen Aals.
    »Dieser Schamlose! Wie oft habe ich ihm nicht mein Lokal verboten!« grunzte Cañamel, während die Leute sich weiter über die Manie des Vagabunden amüsierten, sich mit Kränzen zu schmücken, sobald in seinem hungrigen Magen die Gärung des Weins anfing.
    Man stieß in den See hinaus. Zwischen zwei Röhrichtmassen, ähnlich den Wellenbrechern eines Hafens, zeigte sich eine weite, glitzernde, bläulicheWasserfläche: der Lluent, die wahre Albufera mit ihren verstreuten Inseln, den Zufluchtsstätten des von den Jägern Valencias so verfolgten Federwildes. Jetzt segelte die Barke an der Dehesa entlang, wo gewisse unter Wasser stehende Moräste sich langsam in Reisfelder verwandelten.
    In einer kleinen, von schmalen Lehmwällen eingefaßten Lagune schüttete ein kräftig gebauter Mann die in seinem Kahn aufgestapelten Binsenkörbe aus. Es war des alten Palomas Sohn Toni, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, Grundbesitzer zu werden, Reisfelder sein eigen zu nennen, nicht vom Fischfang zu leben wie sein Vater, der älteste Kahnfischer vom See; und ganz allein – denn die Seinigen wurden müde angesichts der Größe dieser Arbeit – mühte er sich ab,
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