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Sumpffieber

Sumpffieber

Titel: Sumpffieber
Autoren: Vicente Blasco Ibañez
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deines Vaters respektieren. Meine letzten Tage darfst du nicht durch Schande verbittern. Ich will mit den anderen Fischern ruhig mein Glas trinken und ihnen ohne Scham ins Auge sehen können.«
    Ärgerlich über Bordas trostloses Schluchzen, fuhr er das Mädchen an:
    »Willst du die Nachbarn aufmerksam machen und uns alle ins Unglück stürzen? ...«
    Die Nacht war endlos, schwer von tragischem Schweigen. Die Dunkelheit der Hütte schien sich noch zu verdichten, als wenn die schwarzen Flügel des Unheils ihren Schatten auf sie würfen.
    Mit dem Egoismus des Greises, der seine Ruhe haben will, schlief der Großvater auf seinem kleinen, grasgepolsterten Stuhl, während die unnatürlich weit geöffneten Augen seines Sohnes starr auf die gleitenden Schatten gerichtet waren, die das flackernde Licht der offenen Lampe auf die Wand malte.
    Es kam ein Moment, in dem Toni, wie aus einem Schlaf erwachend, jählings auffuhr. Er ging zur Tür, öffnete sie und schaute nach den Sternen: Mitternachtwar vorüber. Und der Frieden der Nacht schien in ihn einzudringen und seinen Entschluß zu festigen.
    Er rüttelte den Alten so lange, bis der erwachte.
    »Vater ... Vater!« flehte er. »Wo liegt er?«
    Der Großvater war wütend. »Laß mich in Ruhe! Ich will schlafen!«
    Doch Toni bettelte weiter.
    »Denk daran, daß es dein Enkel ist. Jeden Augenblick stelle ich mir vor, wie er dort im Morast liegt, im Wasser fault, von Tieren benagt wird, ohne Grab, das selbst die Elendesten bekommen, sogar Sangonera, der keinen Vater besaß. Oh! Sein Leben lang sich schinden, damit der einzige Sohn es einmal besser hat, und ihn dann preisgeben wie einen toten Hund, den man in die Albufera wirft! Vater, das darf nicht sein! Das ist grausam! ... Ich würde nie den Mut haben, auf dem See zu fahren – immer müßte ich denken, daß mein Boot vielleicht über die Leiche meines Kindes glitte ... Vater ... Vater!« drängte er, den halb eingeschlafenen Alten von neuem schüttelnd.
    Der alte Fischer machte eine Bewegung, als wolle er zuschlagen. »Was? ... Noch einmal soll ich nach dieser Memme fahren? Soll noch einmal den Schlamm umrühren auf die Gefahr hin, unsere Schande öffentlich zu machen? ... Zum Teufel, laß mich schlafen!«
    »Ich werde allein hinfahren«, beharrte Toni, »nur nenne mir um Gottes willen die Stelle. Wenn nicht, bin ich fähig, solange ich lebe den See zu durchstöbern – und sollten auch die Leute das Geheimnis erfahren.«
    Ein Weilchen grübelte der Alte. Endlich sagte er:
    »Im Dickicht von Bolodro. Du wirst Mühe haben, ihn zu finden.«
    Und er schloß die Augen und lehnte den Kopf zur Seite, um den Schlaf fortzusetzen, aus dem er am liebsten nie wieder aufgewacht wäre.
    Toni gab Borda ein Zeichen. Sie nahmen außer ihren Spaten auch die dreizackigen Gabeln zum Fang der großen Fische, steckten eine Laterne an und durchquerten das stille Dorf, um sich am Kanal einzuschiffen.
    Während der ganzen Nacht fuhr der schwarze Kahn mit der Laterne am Bug im Röhricht umher – ein roter Stern, der durch die hohen Stengel irrte.
    Kurz vor dem Morgengrauen erlosch das Licht. Nach Stunden mühseliger Suche hatten sie die Leiche entdeckt, noch genau so, wie sie vom Großvater gefunden wurde: den Kopf im Schlamm vergraben, die Füße aus dem Wasser ragend, die Brust eine zerfetzte, blutige Masse.
    Als der Vater seinen Dreizack in diesen weichen Körper stieß, um ihn mit schier übermenschlicher Anstrengung aus dem saugenden Schlamm zu ziehen und ins Boot zu heben, glaubte er, seine eigene Brust zu durchbohren.
    Dann kam die lange Fahrt, während der sie ängstlich wie Verbrecher, die überrascht zu werden fürchten, nach allen Seiten umherspähten. Borda stakte schluchzend am Bug, der Vater half ihr am Ende des Bootes – und zwischen diesen beiden starren Figuren, deren Silhouette sich schwarz von der verschwommenen Helle der Sternennacht abzeichnete, streckte sich die Leiche des Selbstmörders.
    Sie legten am Rande von Tonis Feldern an, diesem künstlichen Boden, den ihre nimmermüden Arme Korb für Korb mit irrsinniger Hartnäckigkeit aufgeschüttet hatten.
    Behutsam, als wäre er ein Kranker, der erwachen könnte, trugen sie den Körper an Land, um unverzüglich ein Grab auszuschaufeln. Noch vor einer Woche hatten sie Erde von allen Enden des Sees hierhergeschafft – jetzt hoben ihre Spaten dieses Erdreich aus, damit es die Schande der Familie verberge.
    Der Tag brach an, als sie den Leichnam in das flache Grab legten, in das
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