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Sumpffieber

Sumpffieber

Titel: Sumpffieber
Autoren: Vicente Blasco Ibañez
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schreckerstarrten Don Joaquin, und instinktiv die Stange ins Wasser tauchend, floh er davon schnell wie ein Pfeil, als hätte das Phantom der Gewissensqual, das seit einer Woche schlief, Gestalt angenommen ... als jagte es hinter ihm her, mit unerbittlichen Nägeln seinen Rücken zerfleischend.

 12.
    S eine wilde Fahrt war kurz. Als er auf die offene Albufera hinausglitt, erblickte er vor sich einige Barken, hörte Rufe von denen an Bord und suchte sich zu verbergen – schamrot wie ein Mensch, der sich nackt den Blicken Fremder ausgesetzt sieht.
    Die Sonne verbrannte seine Augen; die endlose Weite des Sees bereitete ihm Angst. Er hatte Verlangen nach einem dunklen Winkel, nichts zu sehen, nichts zu hören ...
    Und abdrehend, steuerte er in ein Röhricht hinein.
     
    Nicht weit. Der Bug fuhr auf; und der Mann warf sich, den Kopf in den Händen vergraben, auf den Boden seines Boots.
    Lange Zeit blieben die Vögel stumm; jedes Geräusch im Rohr erstarb, alsschwiege das im Dickicht verborgene Leben aus Schreck über dieses wilde Stöhnen, dieses stoßweise Ächzen.
    Der Elende weinte. Aufgerüttelt aus dem Stumpfsinn, der ihn in völliger Empfindungslosigkeit erhalten hatte, sah er sein Verbrechen vor sich, als hätte er es eben erst begangen. Gerade als er wähnte, die Erinnerung an seine Freveltat auslöschen zu können, ließ das Geschick sie wieder aufleben, warf sie zurück unter seine Augen – und in welcher Form!
    Die Gewissenspein weckte in ihm die Instinkte des Vaters.
    Dieses dem See überlassene Wesen war die Frucht seiner Leidenschaft; dieses Fleisch, jetzt ein Tummelplatz für Blutegel und Würmer, war sein Fleisch und Blut! ...
    Die Ungeheuerlichkeit seines Verbrechens erdrückte ihn. Keine Entschuldigungen mehr, keine Ausflüchte wie sonst, um sich selbst sein Tun zu verhehlen! Er war ein Lump, nicht wert, weiter zu leben, ein trockener Zweig am Baum der Palomas, der – wohl rauh und kantig – immer aufrecht und stark, immer gesund gewesen war. Der schlechte Zweig mußte verschwinden. Der Großvater verachtete ihn mit Recht. Sein Vater tat gut daran, ihn abzuschütteln ... Sogar Borda mit ihrer schimpflichen Herkunft hatte mehr von den Palomas in sich als er.
    Was hatte er in seinem ganzen Leben getan? Nichts! Sein Wille zeigte sich nur stark, um die Arbeit zu fliehen. Dieser einfältige Tropf von Sangonera war ein besserer Mensch als er; denn während Sangonera, allein in der Welt, ohne Familie, mit der süßen Unbekümmertheit der Vögel untätig dahinlebte, ohne Bedürfnisse in seiner harten Vagabundenexistenz, verzehrte er selbst sich, die Pflicht scheuend, in heißer Gier nach Wohlleben, wollte reich sein, folgte krummen Pfaden, mißachtete den Rat seines Vaters, der die Gefahr erkannte – und von unwürdiger Trägheit stürzte er schließlich ins Verbrechen! ...
    Noch eine andere, blutigere Wunde peinigte den Unglücklichen. Sein Selbstbewußtsein als Mann litt grausame Qualen. Er sah in der Ferne die Vergeltung: die Zwangsarbeit, vielleicht – wer konnte es wissen? – den Galgen. Gut, er lehnte sich nicht dagegen auf. Doch dann wenigstens als Strafe für etwas, das dem Starken entspricht, für einen Kampf mit dem anderen, für einen Totschlag Auge in Auge ... Aber ein neugeborenes Kindchen umbringen, das keine andere Verteidigung hat als sein Weinen? Vor der Welt bekennen, daß er, der ehemalige Guerrillero, vor dem dieMänner sich duckten – daß er, um zum Verbrecher zu werden, nur gewagt hatte, sein eigenes Kind zu ermorden? ...
    Er weinte, weinte bitter, gemartert durch sein Gewissen wie durch die Scham über seine feige Niederträchtigkeit.
    In diesem düsteren Brüten blitzte wie ein heller Punkt ein Gedanke auf, der ihn in etwas mit sich selbst versöhnte.
    Nein, im Grunde war er nicht schlecht, nur schwach. Die wahre Schuldige war Neleta, die, stärker als er, ihn unterjochte, deren eiserner Wille den seinen untergrub. Wäre er doch nie diesen Augen gefolgt, die ihm bei der Rückkehr von Kuba sagten: »Nimm mich! Ich bin reich, der Traum meines Lebens ist erfüllt – nur du fehlst mir noch!« Ah, diese Verführerin, diese habgierige Frau mit der Maske der Liebe, die sein Führer wurde zum Verbrechen!
    Ein roter Schleier fiel vor Tonets Augen, und mitten in seiner Reue stieg in ihm Mordlust auf, das Begehren, diejenige zu töten, die er jetzt als seine schlimmste Feindin ansah.
    Wozu aber ein neues Verbrechen? ...
    Hier in der Einsamkeit, fern jedem Blick, fühlte er sich besser.
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