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Sumpffieber

Sumpffieber

Titel: Sumpffieber
Autoren: Vicente Blasco Ibañez
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vor ihren Augen erschiene und wieder erschiene, suchte ihren Liebsten vom Trinken abzuhalten.
    »Tonet, nicht mehr!« bat sie sanft.
    Und sie erschrak über die Geste der Empörung, des dumpfen Zorns, mit der der Betrunkene opponierte. Sie erriet, daß ihre Herrschaft über diesen Willen verschwunden war. Manchmal sah sie in seinen Augen sogar Haß aufzüngeln – die Feindseligkeit des Sklaven, der entschlossen ist, den Kampf mit seinem früheren Bedrücker aufzunehmen und ihn zu erdrosseln.
    Ohne Neleta zu beachten, füllte er sein Glas aus allen Fässern der Taverne. Übermannte ihn dann der Schlaf, so streckte er sich, gleichgültig wo, in irgendeinem Winkel des Hauses aus, während Centella mit der instinktiven Zärtlichkeit der Hunde ihm Gesicht und Hände leckte.
    Tonet wollte nicht, daß seine Gedanken erwachten. Sobald der Rausch sich zu verflüchtigen begann, erfaßte ihn eine peinigende Unruhe. Wenn die Schatten eintretender Gäste sich auf dem Boden abzeichneten, hob er erschreckt den Kopf, als befürchtete er das Auftauchen eines Wesens, das seinen Schlaf mit eisigen Schauern störte. Und von neuem mußte er trinken, unablässig trinken, um nicht aus diesem Zustande der Vertierung herauszukommen, der seine Empfindungen abstumpfte und seine Seele einschläferte. Durch die Schleier der Trunkenheit, die sein Denken einhüllten, erschien ihm alles fern, vage, verwischt. Er glaubte, daß viele Jahre vergangen seien seit jener Nacht auf dem See, der letzten seines Daseins als Mann, der ersten eines Schattenlebens, das er mit einem von Alkohol verdunkelten Hirn durchtastete.
    Eines Tages überraschte ihn der Großvater in diesem Stumpfsinn.
    »Morgen erwarte ich Don Joaquin. Hältst du nun dein Wort und kommst mit?«
    Auch Neleta redete ihm freundlich zu:
    »Seit einer Woche hast du die Taverne nicht verlassen. Fahr mit, die frische Luft wird dir gut tun.«
    Das alte Jagdfieber brach bei dem Kubaner durch. Sollte er etwa für immer den See meiden? ...
    Den Rest des Tages beschäftigte er sich damit, Patronen zu füllen und die schöne Flinte Cañamels zu putzen – Jagdvorbereitungen, welche die um ihn herumtollende Hündin mit fröhlichem Bellen begrüßte.
    Früh am nächsten Morgen kam der alte Paloma mit seinem Gönner Don Joaquin – wieder im Schmuck seiner prächtigen Ausrüstung – zu einem schnellen Imbiß nach der Taverne. Ein wenig später brachen alle drei auf.
    Tonet fuhr voran, die Centella wie eine Galionfigur am Bug seines leichten Boots. Dicht hinter ihm stakte der Großvater seine Barke, in der Don Joaquin verwundert die Flinte des Alten untersuchte, diese berühmte Waffe mit tausend Reparaturen, von der man am See so viel zu erzählen wußte. Als sie aus dem Kanal heraus waren und in die Albufera vorstießen, sah Tonet, daß das zweite Boot nach links abdrehte.
    »Wohin?« rief er seinem Großvater zu.
    »Wohin anders als zum Bolodro!« antwortete der Alte. Und zu Don Joaquin gewandt, erklärte er: »Der Bolodro ist das größte Dickicht bei Palmar. Da gibt's mehr Wasserhühner als an irgendeinem anderen Fleck der Albufera.«
    Tonet hingegen wollte geradeaus fahren, zu den Röhrichtinseln in der Mitte des Sees, und zwischen den beiden entspann sich eine heftige Diskussion, bei welcher der Großvater jedoch seinen Willen durchsetzte. Unlustig, resigniert mit den Schultern zuckend, mußte Tonet der Barke folgen.
    Nach einer scharfen Fahrt liefen sie in einen schmalen, von hohem Rohr eingefaßten Wasserarm ein. Schilf und Binsen wucherten durcheinander, und üppige Schlingpflanzen mit weißen und blauen Glöckchen zogen überall ihre Girlanden über diesen Wasserwald, dem die ineinander verstrickten Wurzelknäuel des Röhrichts ein Aussehen von Festigkeit gaben. Auf dem Grunde der Wasserstraße zeigte sich eine seltsame Vegetation, die bis zur Oberfläche emporstieg, und bisweilen wußte man nicht, ob die Boote auf dem Wasser schwammen oder über grüne, von einer dünnen Kristallschicht bedeckte Felder glitten.
    In diesem Winkel der Albufera, der im Sonnenlicht noch wilder aussah, herrschte die tiefste Stille. Dann und wann nur der Schrei eines Vogels im Dickicht oder ein leises Quirlen des Wassers, das die Gegenwart von dem im Schleim des Grundes verborgenen Gewürm verriet.
    »Tonet, treib uns das Wild zu!« befahl der Alte.
    Der Kubaner stakte fort, und ein Weilchen hörte man noch, wie er gegen das Rohr schlug, um die Vögel aufzuscheuchen.
    Mehr als zehn Minuten brauchte er für seine
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