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Schlaf in himmlischer Ruh

Schlaf in himmlischer Ruh

Titel: Schlaf in himmlischer Ruh
Autoren: Charlotte MacLeod
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Erstes Kapitel
     
     
     
     
     
     
     
     
    P eter Shandy, du bist unmöglich«,
sprudelte die Frau seines besten Freundes. »Wie soll ich denn die Lichterwoche
organisieren, wenn nicht alle mitmachen?«
    »Ich bin sicher, du machst deine Sache
wie immer großartig, Jemima. Ist das nicht Hannah Cadwall, die da drüben an
deiner Tür klingelt?«
    Mit aus langer Übung geborenem Geschick
drängte Professor Shandy Mrs. Ames von der Schwelle und schloß die Haustür. Das
war das siebenunddreißigste Mal in achtzehn Jahren, daß sie ihn bedrängte, er
solle sein Haus dekorieren. Er hatte mitgezählt. Shandy hatte eine Leidenschaft
fürs Zählen. Er hätte die Flecken eines angreifenden Leopards gezählt, und
allmählich glaubte er, ein Leopard wäre vielleicht eine willkommene
Abwechslung.
    Seit er als Lehrer an das Balaclava
Agricultural College gekommen war, wurde er in jeder Weihnachtszeit von Jemima
und ihren Kohorten belagert. Ihr Anliegen war immer dasselbe:
    »Wir haben eine Tradition zu wahren.«
    Die Tradition reichte, wie Professor
Shandy herauszufinden sich die Mühe gemacht hatte, nicht weiter als bis in das
Jahr 1931 zurück, als die Frau des damaligen Präsidenten eine Schachtel
Lampions gefunden hatte, die von irgendeinem Studentenball aus wohlhabenderen
Zeiten übriggeblieben war. In einer Mischung aus künstlerischer Neigung und
yankeehafter Geschäftstüchtigkeit beschloß sie, am Weihnachtsabend auf dem
Hügel von Balaclava, dem Balaclava Crescent, eine Große Festbeleuchtung in
Szene zu setzen. Mittlerweile fühlte sich der Professor persönlich tief
getroffen, weil es an jenem Abend nicht geregnet hatte.
    Die Große Festbeleuchtung, die eine
Nacht lang die Trübsal der Großen Wirtschaftskrise verdrängen konnte, war so
ein durchschlagender Erfolg gewesen, daß das College sie seither jedes Jahr
wiederholt hatte — mit immer weiteren Ausschmückungen. Inzwischen wurde der
Crescent während der ganzen Feiertage zu einem Chaos aus funkelnden Lichtern,
roten Schlitten und Studenten in absurden Kostümen, die völlig überflüssige
Aufforderungen grölten, nun zu singen und froh zu sein. Die
Fakultätsmitglieder, deren Häuser zum Crescent hinauslagen, stürzten sich
ebenfalls in die Festlichkeiten. Und keine Energieknappheit dämpfte den bunten
Glast, weil das College aus Methangas seinen eigenen Strom erzeugte.
    Von nah und fern kamen die Touristen,
um sich an dem Schauspiel zu weiden und von den Burschen und Mädels von
Balaclava gemolken zu werden. Studenten verkauften in albernen Hutzelbüdchen
aus Sperrholz Plätzchen und Apfelwein, boten Blätter mit Weihnachtsliedern
feil, bewachten Parkplätze oder verkleideten sich als Nikolauswichtel und
schleppten die Leute für einen Dollar pro Fahrt auf altmodischen Schlitten
herum. Photos davon erschienen in Zeitungen im ganzen Land.
    Die Photographen mußten allerdings
immer um einen dunklen Fleck in der Galaszenerie herumknipsen. Der war das Heim
von Peter Shandy. Er allein stemmte sich wie ein kahl werdender König Knut
standhaft gegen die Fluten.
    Tagsüber machte seine störrische
Weigerung, sich an der jährlichen Schur zu beteiligen, nicht so viel aus. Das
kleine Haus aus rosigen alten Backsteinen sah, umrankt von schneebedecktem
Efeu, ohnehin schon weihnachtlich genug aus. Und doch war es genau dieser
Anblick, der das Komitee am meisten verbitterte.
    »Sie könnten so viel daraus
machen«, beschwerten sie sich.
    Einer nach dem anderen überschüttete
ihn mit Girlanden aus vergoldeten Tannenzapfen, mit gefalteten Lochkarten, mit
wattierten Flickendecken, mit Plastikobst, mit Lutschern, die mit Draht an
Kleiderbügel gebunden waren, und kleinen Scherchen, um die gewünschten
Leckereien abzuschneiden. Er dankte den Spendern immer so höflich, wie er
konnte, und reichte ihre Gaben an seine Putzfrau weiter. Mittlerweile hatte
Mrs. Lomax das vollgestopfteste Haus in der Stadt, aber das kleine
Backsteinhaus auf dem Crescent blieb hartnäckig ungeschmückt. An und für sich
hätte Peter Shandy bereitwillig einige Zugeständnisse an das Ereignis gemacht:
ein Tannenkranz oder ein Stechpalmenzweig über der Eingangstür und nach
Einbruch der Dunkelheit eine dicke, blakende, weiße Kerze im Wohnzimmerfenster.
Eigentlich mochte er Weihnachten. Jedes Jahr schickte er ein paar alten
Freunden einige höflich zurückhaltende Karten, ging auf die Parties in der
Nachbarschaft, die er nicht mit Anstand auslassen konnte, und verreiste, um
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