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Schlaf in himmlischer Ruh

Schlaf in himmlischer Ruh

Titel: Schlaf in himmlischer Ruh
Autoren: Charlotte MacLeod
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obersten Stufe. Warum sie den Schemel bestiegen
hatte, darüber gab ein Nikolausgesicht aus Plastik, das auf ihrer Brust lag,
schweigend Auskunft. Shandy fühlte sich wie ein Mörder, als er zum Telefon
hinübertappte und die Universitätswache anrief. »Grimble, Sie kommen besser
hierher. Hier spricht Peter Shandy.«
    »Ja? Wo haben Sie gesteckt?«
    »Ich wurde, eh, unerwartet aus der
Stadt gerufen.«
    »Sie haben wohl nicht Mrs. Ames
mitgenommen, so ganz zufällig?« Grimble meinte offenbar, er sei witzig.
    »Nein, aber ich, eh, habe sie jetzt
hier bei mir. Deswegen rufe ich an.«
    »Warten Sie. Ich bin gleich drüben.«
    Shandy legte den Hörer auf die Gabel.
Grimble hatte Ausschau gehalten nach Jemima, also mußte sie am Weihnachtstag
oder sogar einen Tag früher als vermißt gemeldet worden sein. Das konnte
bedeuten, daß sie fast die ganze Zeit, die er weg gewesen war, hier gelegen
hatte. Ihr Mann würde mindestens vierundzwanzig Stunden brauchen, bis ihm
auffiel, daß Jemima nicht da war, wo sie sein sollte.
    In all seiner Not schämte sich der
Professor, als ihm klar wurde, daß er sich nicht so sehr darüber ärgerte,
unabsichtlich die Frau seines besten Freundes getötet zu haben, als vielmehr,
daß er nicht dazu gekommen war, seine Suppe aufzuwärmen. Er machte sich
Vorwürfe wegen seines Mangels an passenden Gefühlen, wagte aber
nichtsdestoweniger einen zögerlichen Ausfall in Richtung Küche. Da hielt er
inne.
    Vielleicht steckte er doch tiefer in
der Patsche, als er dachte. War Jemima noch am Leben gewesen, als er sich aus
der Stadt geschlichen und in ferne Länder eingeschifft hatte, ohne jemandem zu
sagen, wohin er fuhr? Seine Meinung über die Hilfsbibliothekarin, ihren
albernen Titel und ihr ewiges Genörgel war bekannt. Auch alle anderen hielten
sie für eine Plage, aber niemand sonst hatte sich derart bemüht, ihr zu
trotzen, und niemand sonst hatte ihre Leiche hinter seinem Sofa.
    Er hatte kaum Zeit zum Überlegen. Der
Wachdienstchef fingerte bereits zwischen den Pilzen nach dem Türklopfer.
    »Kommen Sie rein, Grimble. Kommen Sie.
Gut, daß Sie so schnell hergekommen sind.«
    »Aber sicher, Professor. Wo ist sie,
und was hat sie angestellt?«
    »Nun, eh, ich glaube, die Umstände
sprechen für sich.«
    »Warum kann Mrs. Ames nicht selber für
sich sprechen? Normalerweise tut sie das.« So etwas hätte der Wachdienstchef
nicht zu sagen gewagt, wenn er ernsthaft besorgt gewesen wäre. »Wo ist sie?«
wiederholte er.
    »Hier drinnen. Hinter dem Sofa. Ich
habe nichts angerührt.«
    »Sie meinen, Sie — oh mein Gott!«
    Grimble stand da und starrte mindestens
eine Minute lang auf die Tote hinab. Dann schob er seine Mütze nach vorn und
kratzte sich ausgiebig am Hinterkopf.
    »Was wissen Sie über die Sache? Sieht
so aus, als hätte sie sich einmal zu oft eingemischt.«
    »Ja.« Professor Shandy stellte fest,
daß seine Lippen so trocken waren, daß er Mühe hatte zu sprechen. »Offenbar hat
sie an meinen, eh, Dekorationen Anstoß genommen.«
    »Also, ich will Sie nicht kränken,
Professor, aber manche Leute hier meinen, Sie haben es irgendwie übertrieben.
Die anderen glauben, Sie wollten sie ausstechen.«
    Das war eine denkbare Interpretation
seiner Raserei, die Shandy nie für möglich gehalten hätte.
    »Natürlich«, fuhr Grimble gutmütig
fort, »glauben die meisten von uns hier, daß Sie einfach all die Male
wettmachen, wo Sie nichts damit zu tun haben wollten. Ich selber fand es eher
ziemlich lustig, mit der Musik und dem ganzen Zeug. Die Musik hat sogar
Professor Ames mitgekriegt. Das erste Mal, daß ich gesehen habe, wie er sich
für die Lichterwoche interessiert hat. Jammerschade, daß er sich nicht ein
bißchen mehr für seine Frau interessiert hat.«
    »Seit wann wird sie vermißt?« fragte
der Professor mit einem Kloß im Hals.
    »Ich habe nur rauskriegen können, daß
sie am letzten Donnerstagabend zu einer Party bei den Dysarts gegangen ist. Sie
kennen den großen Trubel, den sie Weihnachten immer veranstalten.«
    »Ja. Da fällt mir ein: Ich wollte
selbst hingehen. Ich habe einfach vergessen, ihnen mitzuteilen, daß ich nicht
käme. Ich muß mich wohl entschuldigen.«
    Als ihm klar wurde, daß er ein
bombensicheres Alibi hatte, wurde Shandy redselig. Er war für acht Uhr
eingeladen gewesen, doch zu dieser Stunde hatte er in Boston sein Ticket
abgeholt, um die Singapore Susie zu besteigen.
    Grimble war nicht interessiert. »Na«,
unterbrach er, »jedenfalls ist sie bis halb zehn auf
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