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Enwor 2 - Die brennende Stadt

Enwor 2 - Die brennende Stadt

Titel: Enwor 2 - Die brennende Stadt
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Das Tal umfing sie wie eine riesige tiefe Schüssel, als sie den Kamm überschritten und ihre Pferde durch den schmalen Hohlweg hinabgeführt hatten. Sie froren. Ihre Schritte waren zum Schluß immer schleppender geworden, und ihre Glieder waren steif und schmerzten vor Kälte, obwohl sie sich alle in Felle und zusätzliche Decken gehüllt hatten. Eis, Rauhreif und kleine Nester aus verharschtem Schnee hatten sich in ihren Haaren und Kleidern festgesetzt, und der Sturm wehte ihre Spuren hinter ihnen beinahe ebenso schnell wieder zu, wie sie entstanden waren. Niemand sprach. Selbst das mühsame Schnauben der Pferde und die gemurmelten Flüche, mit denen sie ihrer Erschöpfung anfangs Ausdruck verliehen hatten, waren nach und nach verstummt. Die würgende Kälte hatte ihre Gesichter gelähmt und ihre Lippen erstarren lassen, und ihre Körper waren taub von den Bissen des Windes. Der Hohlweg — eigentlich mehr ein Riß, eine schnurgerade, wie mit einer gigantischen Axt in den Fels gehauene Bresche mit zerschründe-tem Boden und glatten, eisverkrusteten Wänden, auf denen sie von ihren eigenen Spiegelbildern wie von einer Prozession grotesk verzerrter Schatten begleitet worden waren — hatte den Sturm eingefangen und seine Kraft noch gesteigert. Der Hohlweg war nicht einmal sonderlich lang gewesen, vielleicht zweimal so weit, wie ein Pfeil fliegt, auf gar keinen Fall mehr, aber sowohl Skar als auch die anderen hatten hinterher das Gefühl, stundenlang durch eine klirrende, brüllende Hölle aus Kälte und schneidendem Eis marschiert zu sein.
    Skar blieb aufatmend stehen, als die vereisten Wände endlich zur Seite wichen und sich statt dessen der runde, von Schnee und grauem, klumpigem Matsch erfüllte Talkessel vor ihnen ausbreitete. Der Wind war hier draußen nicht mehr so wütend, aber jetzt, nachdem er nicht mehr so sehr stürmte, spürte Skar die Kälte um so schmerzlicher. Er hatte das Gefühl, langsam von innen heraus zu Eis zu erstarren, und er vermochte sich nicht zu erinnern, wann er das letzte Mal so total erschöpft und ausgelaugt gewesen war. Der viertägige Marsch durch die Berge hatte ihnen allen das Letzte abverlangt, sowohl in physischer als auch in psychischer Hinsicht.
    Skar versuchte, die Hände zu bewegen, aber es ging nicht. Seine Finger waren verkrümmt und blau angelaufen; schmerzende Klauen, die wie leblose Gewichte an seinen Armen hingen und ihn langsam zu Boden zerrten. Er hob die Rechte vors Gesicht, zerrte mit den Zähnen die schmutzigen Handlappen herunter und versuchte, den Daumen zu krümmen. Es ging, wenn er auch den Versuch mit Schmerzen bezahlte, die ihm die Tränen in die Augen trieben. Er schüttelte den Kopf, steckte die Hände unter die Achselhöhlen und begann mit den Füßen auf den Boden zu stampfen. Eine Gestalt taumelte an ihm vorüber, unkenntlich von Eis und glitzerndem Rauhreif, der sich wie ein starrer Panzer auf ihren Zügen festgesetzt hatte. Sie wankte ein paar Schritte und fiel auf die Seite. Der Schnee dämpfte den Aufprall, aber ihr Gesicht schrammte über einen Stein, der unter der trügerischen weißen Decke verborgen gewesen war und eine dünne, blutigrote Spur hinterließ. Skar hatte nicht einmal mehr die Kraft, Mitleid zu empfinden.
    Hinter ihm sank Beral mit einem Wimmern, das sowohl Schmerzen als auch Erleichterung (oder beides) ausdrücken konnte, in die Knie. Seine Rechte umklammerte noch immer das Zaumzeug des Pferdes, und das Tier mußte den Kopf senken, um dem Schmerz, mit dem die stählernen Zähne der Trense in sein Maul bissen, zu entgehen. Beral trug keine Handlappen; wahrscheinlich waren seine Finger so steifgefroren, daß er die Zügel gar nicht mehr loslassen konnte. Er blieb einen Moment lang hocken, schwankte vor und zurück wie ein dünner Zweig im Sturm und fiel dann mit einem halblauten, seufzenden Geräusch in den Schnee.
    Skar kämpfte einen Herzschlag lang gegen das übermächtige Verlangen, es den anderen gleichzutun und sich auch einfach zu Boden sinken zu lassen, die Augen zu schließen, auszuruhen. Es war nicht allein die Kälte. Seit sie Ikne verlassen hatten, war es beständig kälter geworden. Der Winter war mit Macht über das Land hereingebrochen, und sie waren ihm noch entgegengeeilt, so schnell sie konnten, und Skar hatte praktisch ununterbrochen gefroren. Es waren auch nicht der kräftezehrende Marsch über endlose Eisgletscher und die halsbrecherischen Kletterpartien, die keiner von ihnen ohne die Hilfe des anderen gemeistert
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