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Sumpffieber

Sumpffieber

Titel: Sumpffieber
Autoren: Vicente Blasco Ibañez
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des alten Paloma stand am äußersten Ende von Palmar. Eine große Feuersbrunst, bei der das halbe Dorf in Flammen aufging, hatte sein ursprüngliches Aussehen vollkommen verändert. Rapide waren die Strohhütten zu Asche geworden, und da in Zukunft ihre Besitzer ohne Furcht vor Feuer leben wollten, errichteten sie auf den ausgeglühten Baustellen Gebäude aus Ziegelsteinen, wobei viele ihre bescheidenen Mittel erschöpften, denn der Transport über den See verteuerte das Material erheblich. So bedeckte sich der abgebrannte Teil Palmars mit kleinen Häusern, deren Fassaden rosa, grünen oder blauen Anstrich zeigten, während der Rest des Dorfes den früheren Charakter bewahrte: hohe, vom First nach beiden Seiten rund ausbuchtende Dächer, als hätte man umgekehrte Barken auf die Lehmmauern gestülpt.
    Von dem kleinen Kirchplatz bis nahe zur Dehesa standen die Häuschen wie vom Zufall gesät wirr durcheinander, eines möglichst weit vom anderen entfernt, im Gedanken an einen etwaigen neuen Brand.
    Palomas Hütte war die älteste. Sein Vater hatte sie erbaut zu einer Zeit, als es in der ganzen Albufera kein menschliches Wesen gab, das nicht vor Fieber zitterte.
    »Damals«, erzählte der Alte, »reichte das Dickicht bis an die Wände der Hütten. Die Hühner verschwanden unmittelbar vor der Haustür, und wenn sie nach Wochen wieder auftauchten, rannte hinter ihnen ein Gefolge flaumiger Kücken her. In den Kanälen machte man Jagd auf Fischottern, doch die Bevölkerung am See war so spärlich, daß die Fischer nicht wußten, was sie mit ihrem Fang beginnen sollten. Valencia lag am Ende der Welt, von wo nur bisweilen der Marschall Suchet kam, den König José zum Herzog von Albufera ernannt hatte, zum Herrn über Wald und See mit all ihren Reichtümern.«
    Weiter wie bis zur Person des Marschalls reichten die Kindheitserinnerungen des alten Paloma nicht zurück. Noch glaubte er ihn vor sich zu sehen mit seinem wirren Haar und dem breiten Backenbart, angetan mit einem grauen Überrock, während Männer in prunkhaften Uniformen seine Flinten luden. Der Marschall benutzte zur Jagd das Boot von Palomas Vater, und der am Bug kauernde Junge betrachtete ihn voll staunender Bewunderung, wenngleich er manchmal auch über das Kauderwelsch lachen mußte, in dem der große Heerführer den Rückstand des Landes beklagte oder die Ereignisse im spanisch-englischen Kriege – für die Albufera ein vages Ereignis – kommentierte. Einmal fuhr der Knirps mit seinem Vater nach Valencia, um dem Herzog von Albufera einen Aal von ungewöhnlicher Größe zu verehren. Lachend empfing sie der Marschall, dieses Mal in großer, von Goldstickereien strotzender Uniform, neben der seine Offiziere wie Satelliten seines Glanzes wirkten. Als Paloma mit dem Tode seines Vaters Besitzer der Hütte und zweier Boote wurde, gab es keine Herzöge von Albufera mehr, sondern Landvögte, die im Namen des Königs regierten – ausgezeichnete Señores, die niemals zum See kamen und den Fischern freie Hand ließen, sowohl aus der Dehesa zu holen, was ihnen beliebte, als auch alles Federwild im Röhricht zu jagen. Das waren die guten Zeiten! Und wenn der Alte mit seiner knarrenden Stimme in Cañamels Taverne von ihnen erzählte, kroch über den Rücken der Jugend ein Schauer der Begeisterung. Man fischte und jagte zu gleicher Zeit,ohne Angst vor Feldhütern oder Strafen. Kehrten die Leute abends heim, so sah man außer Dutzenden von Kaninchen – mit Frettchen im Walde gefangen – auch noch Körbe voll Fisch und Bündel aufgeschnürter Wasservögel. Alles gehörte dem König, und der König war weit fort.
    Wie hatte sich das geändert! Jetzt gehörte die Albufera dem Staate – wer mochte nur dieser Señor sein? –, jetzt gab es Jagdpächter im Wald und auf dem See, und die kleinen Leute konnten keinen Schuß abgeben oder ein Stück Holz auflesen, ohne daß sofort der Feldhüter mit dem Bandelier über der Brust und dem angeschlagenen Karabiner erschien.
    Paloma hatte die Vorzugsstellung seines Vaters zu bewahren verstanden. Er war der erste Kahnfischer des Sees, und keine große Persönlichkeit kam zur Albufera, der er nicht bei einer Fahrt durch die Röhrichtinselchen alles Sehenswerte im Wasser und am Lande zeigte. Von der jungen Isabella II. wußte er zu erzählen, deren weite Röcke das ganze Heck des geschmückten Bootes füllten; von ihrer strammen Büste, die sich bei jedem Ruck des fortgestakten Kahnes bewegte. Und wie lachten die Leute, wenn sie an seine
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