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Sumpffieber

Sumpffieber

Titel: Sumpffieber
Autoren: Vicente Blasco Ibañez
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Fahrt mit der Kaiserin Eugenie dachten! Sie am Bug, schlank, im kurzen Rock, schußbereit für die Vögel, die in dicken Schwärmen von gewandten Treibern aufgescheucht wurden – am Heck der Schelm von Paloma mit seiner alten Flinte zwischen den Beinen. In einem phantastischen Spanisch machte er die hohe Dame auf die von ihr außer acht gelassenen Collvèrts aufmerksam:
    »Eure Majestät ... aufgepaßt! Von hinten kommt Ihnen ein Grünkragen rein!«
    Alle Herrschaften stellte er zufrieden. Frech, ja, und grob wie nur ein Sohn der Lagune; doch die seiner Zunge mangelnde Lobhudelei steckte in seiner Flinte – einer ehrwürdigen Waffe mit so vielen Reparaturen, daß man nicht mehr wußte, was an ihr eigentlich von der ursprünglichen Fabrikation noch vorhanden war –, denn der alte Paloma schoß wundervoll. Wollte er einem mittelmäßigen Schützen schmeicheln, so stellte er sich hinter ihn und feuerte im selben Moment; so präzise, daß der Knall beider Flinten verschmolz und die hohe Persönlichkeit beim Fallen des Wildes über ihre eigene Geschicklichkeit erstaunte, während der Fischer in ihrem Rücken den Mund boshaft verzog.
    Die meiste Freude machte dem Alten die Erinnerung an den General Prim, den er in einer stürmischen Nacht über den See gebracht hatte, damals, inden Zeiten des Unglücks. Die Häscher des Königs suchten schon in nächster Nähe Valencias, und der General mußte nach einem vergeblichen Versuch, die Garnison der Stadt aufzuwiegeln, im Arbeiterkittel die Flucht ergreifen. Paloma führte ihn in seinem Boot bis ans Meer. Als er nach Jahren den General wiedersah, war aus dem Flüchtling der Chef der Regierung und Spaniens Abgott geworden. Wenn er die Politik satt hatte, ließ er zuweilen Madrid im Stich, um auf dem See zu jagen, wobei ihn Paloma, nach dem gemeinsamen Abenteuer keck und äußerst familiär, wie einen Schuljungen abkanzelte, sobald ein Schuß danebenging. Für Paloma gab es keine Granden, nur gute und schlechte Schützen. Und als der Nationalheros wieder einmal vorbeischoß, wurde der Fischer so wütend, daß er ihn duzte:
    »Du Sch...general! Sollte man glauben, daß du all diese großen Dinge in Marokko getan hast? ... Paß jetzt auf! Paß auf und lerne!«
    Der glorreiche Schüler lächelte; Paloma aber zog, fast ohne zu zielen, ab ... Klatschend fiel eine Ente ins Wasser.
    Diese Anekdoten verschafften dem Alten ein ungeheures Prestige unter den Leuten am See. Was hätte nicht aus ihm werden können, wenn er den Mund aufgetan haben würde, um von seinen Kunden etwas zu erbitten! ... Ihn aber befriedigte das Leben, das er führte, trotzdem es sich, je älter er wurde, immer härter und schwieriger gestaltete. Kahnfischer, nichts als Kahnfischer! ... Menschen, die Reisfelder bebauten, verachtete er. Das waren Landleute! – ein Wort, das für ihn die schwerste Beleidigung bedeutete.
    Stolz darauf, ein Mann des Wassers zu sein, folgte er lieber im Boot den endlosen Windungen der Kanäle, als diese Umwege durch einen Fußmarsch abzukürzen, und betrat aus freien Stücken keinen anderen Erdboden als den der Dehesa; auch diesen nur, um heimlich ein paar Kaninchen zu schießen. Am liebsten hätte er im Boot, das ihm dasselbe war wie der Auster die Schale, auch noch gegessen und geschlafen.
    Am vollkommenen Glück, wie ein Vogel im Röhricht zu leben mit einem Nest auf irgendeinem Inselchen, hinderte ihn die Familie. Sein Vater, der die Hütte, das Werk seiner Hände, nicht verlassen sehen wollte, zwang ihn zur Heirat, und der Wasserstrolch mußte fortan mit seinesgleichen leben, unter einem Strohdach schlafen, seinen Anteil für den Unterhalt des Pfarrers bezahlen und dem Alkalden der Insel gehorchen, einem Mann – wie er sagte – ohne jedes Schamgefühl, der die Protektion der großen Herren in Valencia suchte, um sich von der Arbeit zu drücken.
    Von seiner Frau bewahrte er nur ein vages Bild. Viele Jahre hatte sie neben ihm gelebt, ohne andere Erinnerungen zu hinterlassen als die an ihre Geschicklichkeit im Netzestopfen und ihre hübsche Haltung beim Kneten des wöchentlichen Brotteigs, den sie an jedem Freitag nach der runden weißen Kuppel des am äußersten Ende der Insel stehenden Backofens schleppte, der aussah wie ein afrikanischer Ameisenhaufen.
    Sie hatten viele Kinder gehabt, sehr viele, aber mit Ausnahme eines einzigen waren alle »zu gelegener Zeit« gestorben: bleiche, kränkliche, blutlose Wesen, von fieberschauernden Eltern gezeugt, die einzig der Wunsch nach
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