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Sumpffieber

Sumpffieber

Titel: Sumpffieber
Autoren: Vicente Blasco Ibañez
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Salers ab, des Valencia am nächsten liegenden Dörfchens der Albufera, mit seinem von unzähligen Kähnen und großen Barken vollgestopften Hafen, deren unbehauene Masten, geschälten Pinien gleichend, den Horizont verdeckten.
    Der Abend kam.
    Die Fahrt verlangsamte sich in dem toten Wasser des Kanals, und als dunkle Wolke huschte der Schatten des großen Segels über die Reisstauden, die die letzten Sonnenstrahlen rötlich färbten.
    Unaufhörlich stakten heimkehrende Leute im winzigen schwarzen Nachen vorbei – dem Pferde dieser Bauern –, mit dem jeder Angehörige des im Wasser und vom Wasser lebenden Stammes von klein auf umzugehen verstand, war er doch unentbehrlich für die Arbeit auf den Feldern, für den Besuch beim Nachbar, für die Gewinnung des täglichen Brotes. Frauen, alte Männer, Kinder gebrauchten, aufrechtstehend, mit gleicher Geschicklichkeit die lange Stange, um diesen Holzschuh, der nur fingerbreit aus dem Wasser ragte, in flinker Fahrt zu halten.
    Ab und zu waren in die Uferdämme Breschen geschlagen, durch die sich ohne Geräusch oder Bewegung das unter einer Decke von glitschigem Grün schlafende Wasser des Kanals auf die Felder ergoß. Aalnetze, an Pfählen befestigt, versperrten diese Einschnitte. Beim Vorbeigleiten der Barke huschten enorme Ratten fort und verschwanden im Schlamm der Rieselgräben.
    »Feines Abendessen!« hörte man auf der Fähre.
    Die Leute vom Festland spuckten voller Widerwillen aus, was einen Protest der Einheimischen zur Folge hatte.
    »Wie könnt ihr darüber sprechen, ohne probiert zu haben? Unsere Sumpfratten, die nur Reis fressen, sind wirklich ein leckerer Happen. Dutzendweise baumeln sie vor den Metzgertischen auf dem Markt von Sueca, schön abgehäutet und an ihren langen Schwänzen aufgehängt. Die Reichsten, die Vornehmsten in den Stranddörfern essen nichts anderes.«
    Das Elend einer Bevölkerung, die Schlachtvieh nur insofern kennt, als sie es von weitem auf der Weide sieht, und die ihr Leben lang verdammt ist, sich von Aalen und Schlammfischen zu ernähren, enthüllte sich in dieser Großtuerei, mit der man dem Ekel der Landfremden entgegentrat. Und hitzig zählten die Frauen alle Vorzüge der als »arroz de la paella« zubereitetenRatte auf, den sich schon viele, erstaunt über den angenehmen Geschmack des Fleisches, hatten munden lassen, ohne zu wissen, was sie aßen. Sogar Cañamel hielt es für unerläßlich, seine Meinung zu äußern, und sein Seufzen einen Moment unterbrechend, versicherte er mit Nachdruck:
    »Ich kenne auf der Welt nur zwei Tiere ohne Galle: die Taube und die Ratte.«
    Damit war alles gesagt.
    Es wurde Nacht. Die Felder dunkelten, der Kanal schimmerte im Dämmerlicht weiß wie Zinn. Auf dem Grunde des Wassers erzitterten die ersten Sterne.
    Saler war jetzt ganz nahe. Über den Dächern seiner Hütten reckte sich zwischen zwei Mauerpfeilern die Glocke des Demaná-Hauses, in dem sich am Vorabend der großen Jagden Jäger und Bootsführer zur Verteilung der Stände versammelten. Neben dem Hause erwartete eine riesige Postkutsche die Fahrgäste vom Boot, um sie nach der Stadt zu befördern.
    Die Brise hatte aufgehört. Schlaff hing das Segel am Mast, und zum letztenmal griff Ohneohr zur Stange.
    In der Richtung zum See glitt ein kleiner, mit Erde beladener Kahn vorbei. Am Bug stakte hurtig die junge Borda, wobei sie der hinten stehende Tonet, der Kubaner, der stattlichste Bursche am ganzen See, unterstützte. Ein Mann, der die Welt gesehen hatte und allerlei zu erzählen wußte!
    »Hallo, Bigot!« grüßten ihn die Fahrgäste familiär mit seinem Spitznamen, den er seinem Schnurrbart verdankte, einem ungewohnten Schmuck in der Albufera, wo jeder glatt rasiert ging. »Seit wann arbeitest denn du?« Doch Tonet begnügte sich damit, nach einem raschen Blick auf die Fähre weiterzustaken, während die Passagiere jetzt Cañamel mit denselben derben Spaßen hänselten, die er in seiner Kneipe über sich ergehen lassen mußte. »Aufgepaßt, Onkel Paco! Du fährst nach Valencia, und Tonet hat das Reich für sich in Palmar!...«
    Anfänglich stellte sich der Kneipwirt, als hörte er nicht die groben Anzüglichkeiten. Als sie jedoch gar kein Ende nahmen, richtete er sich auf, in den Augen ein zorniges Funkeln ...
    Die Fettmasse seines Körpers indes war zu groß, belastete so sehr seinen Willen, daß er von der Anstrengung zermürbt auf seine Bank zurücksank und zwischen zwei Seufzern murmelte:
    »Unanständige Bande!«

 2.
    D ie Hütte
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