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Sumpffieber

Sumpffieber

Titel: Sumpffieber
Autoren: Vicente Blasco Ibañez
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ihn begleitete. Sobald er rief, kam sie herbei, und der Hirte melkte seine beste Ziege, um ihr einen Napf Milch anzubieten. Dann schnitt er sich Rohr zu einer Schalmei und spielte sanfte Weisen, während die Schlange zu seinen Füßen sich aufrichtete, den Körper wiegend, als wollte sie zum Takt der weichen Töne tanzen. Andere Male unterhielt er sich damit, ihre Ringe auseinander zu winden und sie in einer geraden Linie auf den Sand zu legen, denn der nervöse Ruck, mit dem die Schlange sich sofort wieder zusammenrollte, machte ihm Vergnügen. Trieb er seine Herde nach einer anderen Stelle der großen Pampa, so folgte ihm Sancha wie ein Schoßhund oder ringelte sich an seinen Beinen aufwärts bis zum Hals, wo sie regungslos, erstarrt, liegenblieb, die diamantenen Augen ihres dreieckigen Kopfes fest auf die seinigen gerichtet, den Flaum seines Gesichts mit ihrem Hauch kosend.
    Die Leute hielten ihn für einen Hexenmeister, und mehr als eine der im Walde Holz stehlenden Frauen bekreuzigte sich, wenn er mit Sancha um seinen Hals auftauchte. Es war ihnen allen sehr verständlich, daß der Hirt ohne Furcht vor den großen Reptilien, von denen das Dickicht wimmelte, im Freien schlief: Sancha, die der Teufel selbst sein mußte, beschützte ihn vor jeder Gefahr.
    Die Schlange wuchs, und der Knabe hatte sich zum Mann entwickelt, als die Bewohner der Albufera ihn plötzlich nicht mehr sahen. Später erfuhr man, daß er Soldat geworden war und an den Kriegen in Italien teilnahm.
    Keine andere Herde suchte die wilde Pampa auf, und auch den Fischern, die am Strande anlegten, behagte es nicht, sich zwischen die hohen Binsen am Rand der trägen Lagunen zu wagen. In Ermangelung der Milch, mit der sie der Hirte gelabt hatte, mußte Sancha die unzähligen Kaninchen der Dehesa verfolgen.
    Acht oder zehn Jahre verflossen, und eines Tages bemerkten die Einwohner von Saler auf dem Wege von Valencia einen dürren, zitronengelben Grenadier mit weißem Rock, roten Pumphosen und schwarzen Gamaschen bis übers Knie; doch der mächtige Schnurrbart hinderte nicht das Wiedererkennen.
    Der Hirte war zurückgekommen, von dem Wunsch getrieben, das Land seiner Kindheit wiederzusehen.
    Den See umgehend, schlug er den Pfad zum Walde ein und gelangte mittags zu der einsamen Pampa, dem alten Weideplatze seiner Ziegen. Nichts regte sich. Leise surrend spielten Libellen über dem schweigenden Schilf, während die Frösche, entsetzt über die Nähe des Grenadiers, in die grünüberzogenen Tümpel klatschten.
    »Sancha! Sancha!« lockte sanft der frühere Hirt.
    Vollkommene Stille. Nur vom See herüber drang das schläfrige Lied eines Fischers.
    »Sancha! Sancha!« rief er mit aller Kraft.
    Und als er den Ruf viele Male wiederholt hatte, sah er, wie das Gebüsch sich bewegte, vernahm er das Knacken von brechendem Rohr: zwischen den Binsen blitzten zwei Augen in Höhe der seinigen. Unstet spielte in dem abgeplatteten Kopf die gespaltene Zunge, und ein grauenhaftes Zischen ertönte, das sein Blut gefrieren ließ. Es war Sancha, aber riesig, prachtvoll ... Mannshoch hatte sie den bunten Leib – dick wie ein Pinienstamm – emporgereckt, dessen nachschleifender Schwanz sich im Gebüsch verlor.
    »Sancha!« schrie der Soldat und wich ängstlich zurück. »Wie bist du gewachsen!«
    Er versuchte zu fliehen. Doch die alte Freundin – nach dem ersten Staunen schien sie ihn wiederzuerkennen – wickelte sich um seine Schultern, schloß ihn in einen unter nervösen Zuckungen vibrierenden Ring.
    Der Mann machte verzweifelte Anstrengungen.
    »Laß los, Sancha! Laß los! Du bist zu groß für diese Spielerei!«
    Ein neuer Ring fesselte seine Arme. Und wie in früheren Zeiten koste der Hauch der Schlange sein Gesicht ... Enger umschnürten ihn die Ringe, immer enger, bis seine Knochen krachten, bis er, in der Rolle bunter Reifen erstickt, auf die Erde fiel.
    Tage später fanden Fischer seinen Leichnam: eine unförmliche Masse Fleisch, blauschwarz angelaufen unter Sanchas unwiderstehlichem Druck. So starb der Hirte, ein Opfer der Umarmung seiner alten Freundin.
    Den Reisschnittern auf der Barke entlockte diese tragische Legende nur ein spöttisches Lachen, aber die Frauen bewegten unruhig ihre Füße, als sei das, was sich dumpf stöhnend am Boden wälzte, die an Bord geschlüpfte Sancha. Inzwischen war man am Ende des Sees angelangt. Wieder drang die Postfährein ein Netz von Kanälen ein, und fern, sehr fern hoben sich über der ungeheuren Reisfläche die Häuser
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