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Sumpffieber

Sumpffieber

Titel: Sumpffieber
Autoren: Vicente Blasco Ibañez
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Wärme zusammenführte. Die einen, geschwächt durch die einseitige, fade Fischnahrung, starben an Auszehrung; andere fielen in die nahen Kanäle und ertranken.
    Nur der Jüngste klammerte sich zäh genug ans Leben, um allen Fiebern standzuhalten, saugte gierig die paar Tropfen Milch, die die schlaffen Brüste eines immer kranken Körpers geben konnten.
    Paloma fand diese Todesfälle logisch und unerläßlich. Man mußte dem Herrn danken, daß er sich der Armen erinnerte! War es nicht widerlich zu sehen, wie sich die im Elend lebenden Familien vermehrten? ... Ohne die Güte Gottes, der von Zeit zu Zeit diese Pest von Kindern klärte, hätte der See nicht alle ernähren können, hätte einer den anderen auffressen müssen ...
    Als die Mutter starb, übernahm der kleine siebenjährige Toni ihre Arbeit. Nicht minder umsichtig und arbeitsam wie sie, kochte er das Essen, bastelte an schadhaften Stellen der Hütte und holte sich Rat bei den Nachbarinnen, damit der Vater das Fehlen einer Frau nicht bemerken sollte – alles mit schwerem Ernst, als hätte das unentwegte Bemühen, die Mutter zu ersetzen, jeglichen Frohsinn ausgelöscht.
    Unter einem Berg von Netzen ganz verborgen, folgte er dem Vater zum Boot, und Paloma blickte stolz auf seinen kräftigen Jungen, der behende die Reusen einholte oder das Boot über den See stakte.
    »Ein Kerl wie kein zweiter!« meinte Paloma zu seinen Freunden. »Sein Körper rächt sich jetzt für alle früheren Krankheiten.«
    Die Frauen von Palmar lobten vor allem seine guten Sitten. Weder beteiligte sich Toni an dem Unfug der jungen Leute in den Tavernen, noch gesellte er sich zu den Burschen, die nach beendigtem Fischfang hinter irgendeiner Hütte auf dem Bauch lagen, um stundenlang ein schmuddeliges Kartenspiel zu mischen.
    Stets willig zur Arbeit, bereitete Toni seinem Vater nicht den geringsten Verdruß. Paloma, der mit niemandem gemeinsam fischen konnte, weil er bei der kleinsten Unaufmerksamkeit mit den Fäusten auf seinen Kameraden losging, fand an Toni niemals etwas zu tadeln. Mehr noch! Gar häufig sah der Alte, wenn er im Begriff war, eine Anweisung zu geben, daß sein Sohn, die Absicht erratend, schon Hand ans Werk gelegt hatte.
    Als Toni ein Mann geworden war, vollzog sich in der Seele seines Vaters trotz seiner Vorliebe für das Vagabundieren auf dem Wasser und trotz fehlenden Familiensinns dasselbe wie einst beim Großvater. Was sollten zwei Männer allein in der einsamen Hütte? ... Es stieß ihn ab, seinen Sohn, diesen robusten Burschen, das Feuer anblasen und Essen kochen zu sehen, und nicht ohne Gewissensbisse blickte er auf die kurzen, behaarten Hände mit den eisernen Fingern, die Töpfe scheuerten und Fische schuppten.
    An den langen Winterabenden glichen sie zwei auf eine wüste Insel verschlagenen Schiffbrüchigen. Kein Wort fiel zwischen ihnen, kein Lachen erklang, keine Frauenstimme heiterte sie auf. In der Mitte der düsteren Hütte glühte zu ebener Erde der Herd: ein kleines viereckiges Loch, eingefaßt von Ziegelsteinen. Ihm gegenüber eine alte Anrichte, auf deren rissigen Fliesen armseliges Geschirr stand, und zu beiden Seiten die wie die ganze Hütte aus Lehm und Rohr erbauten, nur mannshohen Innenwände von zwei Zimmern. Darüber gähnte das rußige Strohdach, geschwärzt von dem Herdrauch vieler Jahre, dem sich kein anderes Abzugsloch bot als eine Öffnung am First.
    Von den Sparren herab hing das wasserdichte Zeug von Vater und Sohn für nächtliche Fahrten: die steifen, schweren Hosen und die Jacken, durch deren Ärmel ein Knüppel gesteckt war – grobe, gelbe Leinwand, die die vielen Einreibungen mit öl glänzend gemacht hatte. Der durch das Loch im Dach hineinpfeifende Sturm schaukelte die seltsamen Puppen, deren fettige Außenseite die rote Herdglut widerspiegelte, und es schien, als hätten sich die beiden Bewohner der Hütte an ihren Balken aufgehängt.
    Paloma langweilte sich. Er schwatzte gern, und in der Taverne konnte er nach Herzenslust fluchen und mit den andern Fischern räsonieren; zu Hause jedoch wußte er nicht, was er sagen sollte. Seine Worte verloren sich in einem erdrückenden, respektvollen Schweigen, denn der untertänige Sohn hatte nie etwas zu entgegnen. Der Alte pflegte dies beim Wein auf seine Weise zu erklären:
    »Ein guter Junge, aber immer stumm – gar nicht wie ich! Meine Verstorbene muß mich irgendwie betrogen haben.«
    Eines Tages wandte er sich an Toni mit der gebieterischen Miene des spanischen Vaters, der bei
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