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Sueßer Tod

Sueßer Tod

Titel: Sueßer Tod
Autoren: Amanda Cross
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eine Freundin schrieb sie:
    ›Ich dachte gerade an mein nächstes Buch – werde es ›Verheiratet mit dem Tod‹
    nennen. Ich bin wirklich vernarrt in den Tod; das zeigen meine Gedichte, deshalb verkaufen sie sich wohl so schlecht… Aber diese Todesidee, sie überwältigt mich einfach, ist in meinem Fall wohl so etwas wie ein Weglaufen – nicht sehr stark von mir… Aber sie ist nun einmal in mir, diese Idee, Tod Tod Tod – süßer Tod…‹
    Aber ich darf nicht vergessen, daß Stevie Smith einen Selbstmordversuch gemacht hat und schließlich mit Mitte sechzig an einem Hirntumor gestorben ist. Außerdem fällt mir ein, daß sie – höchst ironisch – die Ödnis häuslicher Pflichten gefeiert hat.
    ›Ich bin nur noch zu Hause und absolut fasziniert davon, wieder und wieder, Tag 20

    um Tag zur gleichen Zeit, die gleichen Dinge zu tun. Ohne das wäre ich völlig verloren‹. Für mich und Woolf ist das völlig anders. ›Ein großer Teil eines jeden Tages wird nicht bewußt gelebt‹, heißt es bei ihr. ›Man geht, ißt, sieht Dinge, erledigt das Notwendige‹ Sie zählt die Dinge auf, alle häuslicher Natur: Abendessen, ein nicht funktionierender Staubsauger. Und Woolf gestand sich ein:
    ›An einem schlechten Tag ist der Anteil des Nicht-Seins viel größer‹, und die Momente von Intensität, von Sein, sind unter den viel zahlreicheren Momenten des Nicht-Seins begraben. Aber ich habe entdeckt – und Virginia Woolf zweifellos auch –, daß es viel mehr Momente des Seins gibt, wenn man mit großer Intensität lebt. Die Momente des Nicht-Seins – belanglose Plaudereien, Dinner-Parties, Begegnungen, wo nichts gesagt wird, Grüße, die man lieber nicht erwidert –
    verlieren völlig an Bedeutung. Trotzdem kann man die Momente des Nicht-Seins wertschätzen: wegen der nötigen Ruhe, die sie einem von den Momenten des Seins vergönnen. Aber das ist wohl nicht das, was Stevie Smith meinte. Obwohl sie damals noch nicht alt war, glaube ich, daß sie die langweilige Routine häuslicher Pflichten brauchte; sie gaben ihr Halt.
    Ich hatte einen, wie die Franzosen es mit ihrer wunderbaren Genauigkeit ausdrücken, coup de vieux. Zum ersten Mal sah ich der Tatsache ins Auge, daß ich alt bin, und diese Erkenntnis werde ich nicht unter Routine zu vergraben versuchen. Auch die Beteuerungen meiner Familie und alten Freunde, daß es mich noch gibt, werden mich nicht darüber hinwegtäuschen. Sie brauchen den Glauben daran, weil sie glauben wollen, daß auch sie im Alter noch lebendig sind. Mir wird klar, daß der menschliche Geist das Alter nicht wirklich erfaßt, schon gar nicht in der Jugend, vielleicht nie. Welche junge Frau glaubt schon, daß sie eines Tages hinfällig wird, Falten bekommt und dünnes Haar. Ich glaube, mein coup de vieux, die Erkenntnis, daß ich alt bin, war in gewisser Weise eine Gnade – sie bescherte mir eine Art zweites Leben. Ein Literaturwissenschaftler schrieb in der Einleitung zu Richardsons ›Pamela‹, daß Romane, wie Tagebücher, meistens die Jugend zum Thema haben, weil wir gern Zeugen sind, wie eine Person kämpft, ein Selbst zu werden. Aber ist schon mal jemand auf die Idee gekommen (außer natürlich Woolf), daß ein Roman über eine Frau in den Fünfzigern geschrieben werden könnte, die genau diesen Kampf ausficht, weil sie in ihrer Jugend keine Chance hatte, ein Selbst zu werden? Jeder der dies liest, wird natürlich sagen, ich sei depressiv; deshalb soll dies ja niemand lesen. Wer würde schon verstehen, daß ich voller Freude bin. Ich habe mich in den Tod verliebt, und Liebe, vorausgesetzt man verfolgt das Objekt nicht unaufhörlich, ist freudvoll. Ich hoffe, zur richtigen Zeit werde ich in der Lage sein, mit Stevie Smith zu rufen: ›O süßer Tod, komm zu mir.‹«
    Kate legte das Tagebuch nieder: Es war in der Tat ein außergewöhnliches Dokument. Archers Worte fielen ihr ein: »Wissen Sie, meine Liebe, mit Anfang Fünfzig verliebte sich Patrice in den Tod, und Herbert und ich wissen einfach 21

    nicht, was wir von dieser erstaunlichen Tatsache halten sollen.«
    Kate wußte, daß Archer und Herbert nicht nur Probleme hatten mit der Biographie einer Frau, die so offen vom Tod sprach und die das Gefühl hatte, zu einem Zeitpunkt erst richtig zu leben anzufangen, wo die meisten Leute mehr oder weniger mit dem Leben abgeschlossen haben. Die beiden Biographen bedrückte noch etwas anderes: sie fürchteten, junge Menschen in die Irre zu führen, wenn sie offen über Patrices Liebe
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