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Sueßer Tod

Sueßer Tod

Titel: Sueßer Tod
Autoren: Amanda Cross
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Eins
    Dies ist der einfachste aller Gedanken,
    daß der Tod, obwohl er ein Gott ist,
    kommen muß, wenn wir ihn rufen.

    Stevie Smith

    Für eine Biographie über die Schriftstellerin Patrice Umphelby würden wir uns über die Zuschrift aller freuen, die Briefe von ihr besitzen oder sie persönlich kannten.

    Zu der Trauerfeier für Patrice Umphelby in New York City (die Beisetzung hatte natürlich schon vor Monaten im Clare College stattgefunden) kamen Kate Fansler und einige hundert andere Leute, die die Zeremonie ausnahmslos äußerst bewegend fanden. Gedenkgottesdienste sind oft sehr traurig und selten aufbauend.
    Die Feier zum Gedenken an Patrice folgte den Ritualen der Quäker: alle, die die Tote gekannt hatten und über sie sprechen wollten, erhoben sich, um dies zu tun.
    Nach Kates Erfahrung, mit der sie, so hatte sie das Gefühl, kaum allein dastand, gab es allen Grund, solch ein unstrukturiertes Ritual zu fürchten: es ermutigte die Schwatzhaften und brachte diejenigen mit tiefen Erinnerungen oder Gefühlen zum Schweigen. In diesem Fall waren ihre Befürchtungen jedoch grundlos. Alle Schilderungen – von Männern, die Patrice von Jugend an gekannt hatten, von Frauen in mittleren Jahren, die sie ermutigt hatte – zeugten von Patrices Geist, ihrer Wärme, ihrer Großzügigkeit und vor allem von der Aufmerksamkeit, die sie allen geschenkt hatte. Kate hatte Patrice Umphelby nicht persönlich gekannt, aber vor Patrices Tod so eindrucksvolle Dinge von ihr gehört, daß sie aus einer Art innerem Zwang zu der Gedenkfeier gegangen war, um dieser außergewöhnlich mutigen Frau die letzte Ehre zu erweisen. Viele blieben bei der Feier stumm, aber auch aus ihrem Schweigen schien Trauer und die bleibende Erinnerung an die Tote zu sprechen. Seit der Feier war Kate Patrice Umphelby nicht aus dem Kopf gegangen; oft fiel ihr Name, oft wurde ihr Geist beschworen. Und dann plötzlich, wurde Kates Aufmerksamkeit von neuem auf sie gelenkt, und zwar auf sehr direkte Weise.
    Kate hatte die Ankündigung der geplanten Biographie über Patrice in der ›New York Times Book Review‹ und anderen Zeitschriften nicht gelesen. Daß eine solche Biographie beabsichtigt war, hörte Kate zum ersten Mal, als sie mit Grippe im Bett lag und jene tiefe Gleichgültigkeit gegenüber dem Fortbestand der Welt empfand, die bekannterweise mit einer Grippe einhergeht. Ihr Wissen darum, daß die Welt in unserem Zeitalter atomarer Rüstung vielleicht sowieso keine Zukunft hat, milderte die Tiefe ihrer Gleichgültigkeit nicht. Selbst dem einfachsten Gemüt 5

    mußte klar sein, daß die Viren oder Bakterien (oder welche neologistische Nomenklatur auch zutreffen mochte für diese hinterhältigen Organismen, die im menschlichen Körper im Zustand geschwächter Immunität gediehen) aus ihren letzten Kämpfen mit der modernen Medizin gestärkt hervorgegangen waren und mit dem Glück, das ihrer Spezies schon immer hold war, die Zerstörung aller anderen Lebewesen überleben würden.
    Warum sie angesichts all dessen entschlossen war, ihre Post zu lesen, hätte sie niemandem erklären können. Reed Amhearst, ihr Mann, unterstützte sie in dieser, wie er fand, verrückten Absicht, indem er die Umschläge für sie öffnete und die Briefe in ihrer Reichweite stapelte. Ein Brief von zwei Männern war darunter. Sie schrieben Patrices Biographie, hieß es darin, und würden sich gern mit Kate unterhalten. Ob sie sich erinnere, Patrice vor einigen Jahren auf einem Flughafen bei Nebel getroffen und über Gott gesprochen zu haben?
    Kate sank in die Kissen zurück und schloß die Augen. So wartete man, daß ein in den Projektor eingelegter Film scharf gestellt und abgespult wurde. Nein, dachte sie, die Erinnerung in mittleren Jahren, war eher wie ein plötzlich aufblitzendes Bild, so wie einst die Bilder der laterna magica: Heutzutage nannte man so was
    »audiovisuelle Mittel«. In ihrem Alter, fand Kate, kamen Erinnerungen ungerufen.
    Ein Wort, ein Geruch oder Klang reichten aus, sie herbeizulocken und aufleuchten zu lassen. Wenn man, wie Kate, Erinnerungen möglichst vermied und Geschichten aus der Vergangenheit verabscheute, durften diese aufblitzenden Momente schnell wieder verschwinden. (Viel später wurde Kate klar, daß dieses Ausweichen vor Erinnerungen ein exzentrischer Zug war, den sie und Patrice gemeinsam hatten.) Patrice (so schrieben ihre Biographen) war natürlich auf den Namen Patricia getauft worden, hatte aber seit ihrer Mädchenzeit eine Vorliebe für
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