Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sueßer Tod

Sueßer Tod

Titel: Sueßer Tod
Autoren: Amanda Cross
Vom Netzwerk:
zum Tod sprächen, davon, wie für sie der Gedanke an den Tod den mittleren Jahren soviel Intensität gab, wie die Jugend bei Hoffnung und Leidenschaft empfindet. Archer und Herbert sorgten sich, entmutigte junge Menschen könnten Patrices Verliebtsein in den Tod als Aufforderung zum Selbstmord auffassen, was in der Tat eine schreckliche Vorstellung war. Denn Selbstmord in jungen Jahren und Selbstmord mit siebzig sind so verschieden wie eine junge Frau und eine Frau von siebzig. Archer und Herbert wollten Patrice als Person darstellen, die bei gesundem Verstand war, was ja zweifellos zutraf. Ein coup de vieux, dachte Kate – wer hatte ihn je als die Chance begriffen, ein neues Leben zu beginnen?
    Aber so ernst das Problem auch war – wie sich herausstellte, sorgten sich Archer und Herbert auch nicht zu Tode deswegen. Am nächsten Tag tauchten sie bei Kate auf, entschlossen, reinen Tisch zu machen, wie sie sich ausdrückten.
    Selbst die Ecktische im Restaurant bargen das Risiko von Lauschern. »Die Ohren des Großen Bruders sind überall«, sagte Archer. Deshalb trafen sie sich in Kates Büro.
    »Ich habe fast das Gefühl«, sagte Kate, »Sie wollen mich heute nicht als Ratgeberin für Ihre Biographie konsultieren, sondern in einer ganz anderen Sache.«
    »Sie haben’s erfaßt«, sagte Archer, knapp wie es sonst nicht seine Art war, und fuhr fort: »Kommen wir also gleich zur Sache: Wir fürchten schon seit einiger Zeit, daß Patrice ermordet worden ist.« Kate starrte ihn an und fühlte sich wie damals auf dem im Nebel versunkenen Flughafen. Laphroaig war weder in Reichweite, noch kam er in Frage. Es war zwei Uhr nachmittags.
    »Ich bin keine professionelle Privatdetektivin«, sagte Kate. »Außerdem hatte ich gehofft, Sie wollten meinen Rat, weil ich eine so außergewöhnliche Frau bin«, fügte sie traurig hinzu, lehnte sich mit einem Seufzer zurück und kippte ihren Stuhl nach hinten, ganz wie es sich für eine Privatdetektivin gehörte. »Übrigens, Reed ist der Sache nachgegangen: Patrice wurde nicht ermordet. Es sei denn, jemand hätte sie mit Gewalt hinaus auf den See geschleppt, alle Anzeichen eines Kampfes verwischt und ihr eine Droge gegeben, die der modernen Medizin bisher unbekannt ist. Reed hat sich die Akten von der Polizei in Massachusetts schicken lassen, und in Polizeiakten stehen bekanntlich unumstößliche Tatsachen. Sie sind überarbeitet, Sie beide«, schloß sie tröstend.
    Herbert beugte sich vor, und sein besorgtes Gesicht veranlaßte Kate, ihren Stuhl langsam wieder nach vorn zu kippen. »Wir meinen ja nicht im 22

    buchstäblichen Sinne, daß sie ermordet wurde, Kate. Sie ging selbst in den See, sie wollte sterben. Die Frage ist nur: Warum zu diesem Zeitpunkt und warum auf diese Art?«
    »Aber sie war verliebt in den Tod«, sagte Kate. »Ich habe es selbst in ihrem Tagebuch gelesen.«
    »Aber Sie wissen doch auch«, sagte Herbert, »was diese Todesverliebtheit für Patrice bedeutete: So wie die Hoffnung auf eine endlose Zukunft der Jugend die Wagnisse des Jungseins ermöglicht, so machte für Patrice die Hoffnung auf den Tod die Wagnisse der mittleren Jahre möglich. Aber sie sprach vom Tod nach siebzig, dreimal zwanzig und zehn Jahren. Sie war gerade achtundfünfzig und hatte allen Grund weiterzuleben.«
    »Aber wenn man sich verliebt«, sagte Kate, »läuft man Gefahr, verführt zu werden.«
    »Und genau das ist also Ihrer Meinung nach geschehen?« fragte Archer. »Sogar Sie, der doch das Leben Mißtrauen beigebracht hat, glauben das. Genau darauf konnte jemand setzen, der ihr übelwollte: daß alle Welt denkt, sie wurde vom Tod verführt.«
    Nicht alle Welt, wie sich am folgenden Freitagmorgen herausstellte. Kate, der ihrer Meinung nach vom Schicksal zugedacht war, bis Mittag zu schlafen, kam nur freitags in den Genuß ihrer Bestimmung, und das auch nur an jenen Freitagen, an denen ihre Universität nicht auf die Idee verfiel, irgendeine Sitzung anzuberaumen.
    Auf frühmorgendliche Sitzungen reagierte Kate wie Tallulah Bankhead, die, als sie einmal um neun Uhr morgens irgendwohin eingeladen wurde, überrascht geantwortet haben soll: »Oh, ist es etwa zweimal am Tag neun Uhr?«
    Es war kaum zehn, als Reed, der an dem Tag zu Hause arbeitete, sie weckte.
    »Die Präsidentin vom Clare College ist am Telefon«, sagte er, »oder jedenfalls bereit, ans Telefon zu stürzen, sobald du in der Lage bist, den Hörer in die Hand zu nehmen. Ihre Sekretärin klingt sehr gebieterisch. Sie rief um neun
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher