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Spiel der Herzen (German Edition)

Spiel der Herzen (German Edition)

Titel: Spiel der Herzen (German Edition)
Autoren: Sabrina Jeffries
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Prolog
    Eton College
    1806
    Der dreizehnjährige Lord Jarret Sharpe wollte die Nacht nicht in der Hölle verbringen. Er blickte aus dem Kutschenfenster hinauf zum Mond und erschauderte. Es musste fast acht Uhr abends sein – sie würden also in Eton eintreffen, wenn die Jungen in den Schlafsaal eingeschlossen wurden. Und dann würde die Hölle losgehen.
    Er zupfte beklommen an seiner schwarzen Schleife herum und schaute verstohlen zu seiner Großmutter. Wie konnte er sie dazu bewegen, ihre Meinung zu ändern? Sechs Monate zuvor hatte sie ihn und seine Geschwister zu sich nach London geholt – weg von Halstead Hall, dem schönsten Ort auf der ganzen Welt. Nun wollte sie ihn nicht mehr in die Brauerei mitnehmen und zwang ihn, auf dieses schreckliche Internat zu gehen. Und das alles wegen der Umstände, unter denen seine Eltern gestorben waren.
    Eine Eiseskälte hatte von seiner Seele Besitz ergriffen, und er hatte das Gefühl, dass auch in ihm etwas gestorben war. Er konnte nicht essen, er konnte nicht schlafen … er konnte nicht einmal weinen.
    Was war er nur für ein Unmensch? Selbst sein ältester Bruder Oliver hatte bei der Beerdigung geweint. Jarret wollte weinen, aber die Tränen kamen nicht. Nicht einmal nachts, wenn ihn Albträume von seinem im Sarg liegenden Vater quälten.
    Er hatte in der Zeitung gelesen, dass die Kugel »das Gesicht Seiner Lordschaft zerschmettert« hatte, und dieses Bild ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Schlimm genug, dass ihn der Anblick seiner Mutter immer noch verfolgte, wie sie steif und bleich in einem weißen Kleid, das ihre Schusswunde verdeckte, in ihrem Sarg gelegen hatte, doch jedes Mal, wenn er daran dachte, was es zu bedeuten hatte, dass der Sarg seines Vaters geschlossen gewesen war, konnte er kaum noch atmen.
    »Sag Oliver, er soll mir einmal in der Woche schreiben, hörst du?«, sagte seine Großmutter.
    »Ja, Großmutter.« Er verspürte einen stechenden Schmerz in der Brust. Insgeheim hatte er immer geglaubt, er sei ihr Lieblingsenkel, aber das war nun vorbei.
    »Und du natürlich auch«, fügte sie etwas sanfter hinzu.
    »Ich will nicht ins Internat!«, platzte es aus ihm heraus. Als sie die Augenbrauen hochzog, schob er rasch nach: »Ich möchte zu Hause bleiben. Ich möchte jeden Tag mit dir in die Brauerei gehen.«
    »Jarret, mein Junge –«
    »Nein, hör mir bitte zu!« Er knetete seine schwarzen Trauerhandschuhe, die er auf dem Schoß liegen hatte. »Großvater sagte, ich werde die Brauerei erben, und ich weiß schon über alles Bescheid. Ich weiß, wie die Maische hergestellt wird und wie lange die Gerste darren muss. Und ich bin gut in Mathematik – das hast du selbst gesagt. Ich könnte die Buchführung erlernen.«
    »Es tut mir leid, Junge, aber das wäre unklug. Es war ein Fehler, dass ich und dein Großvater dein Interesse an der Brauerei gefördert haben. Deine Mutter wollte etwas anderes für dich, und sie hatte recht. Sie hat genau deshalb einen Marquess geheiratet, weil sie sich etwas Besseres für ihre Kinder gewünscht hat als die Arbeit in einer Brauerei.«
    »Aber du arbeitest doch in der Brauerei!«, protestierte er.
    »Weil ich es muss. Weil es die wichtigste Einnahmequelle für euren Unterhalt ist, bis der Nachlass eurer Eltern geregelt ist.«
    »Ich könnte doch helfen!« Er wollte seiner Familie unbedingt dienlich sein. In der Brauerei zu arbeiten war viel besser als zu lernen, wer den Nil überquerte und wie man lateinische Verben konjugierte – wozu war das schon nutze?
    »Du kannst viel mehr helfen, indem du einen anständigen Beruf ergreifst, wie man ihn nur durch Eton bekommt. Du bist zu Größerem geboren – du könntest Rechtsanwalt werden oder Bischof. Es wäre mir sogar recht, wenn du zum Militär gehst oder zur Marine, wenn es das ist, was du willst.«
    »Ich will doch kein Soldat werden!«, sagte er entsetzt. Schon bei der Vorstellung, eine Pistole in die Hand zu nehmen, drehte sich ihm der Magen um. Seine Mutter hatte seinen Vater versehentlich erschossen. Dann hatte sie die Waffe gegen sich gerichtet.
    Diesen Teil der Geschichte fand er merkwürdig. Großmutter hatte den Zeitungen gesagt, Mutter habe sich aus Verzweiflung darüber, ihren Mann getötet zu haben, erschossen. Das konnte er nicht verstehen, aber Großmutter hatte alle angewiesen, nicht darüber zu sprechen, ja nicht einmal Fragen zu stellen, und er hielt sich daran.
    Der Gedanke, dass seine Mutter sich erschossen hatte, schmerzte ihn sehr. Wie hatte sie ihn und
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