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Süden und das verkehrte Kind

Süden und das verkehrte Kind

Titel: Süden und das verkehrte Kind
Autoren: Friedrich Ani
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Polizeidienst absolut untauglich.
    »Niemand sonst im Dezernat ist dieser Auffassung«, hatte Sonja gesagt, als sie am Dienstagabend zu mir kam. Aber sie wartete auf eine Erklärung. Und ich war nicht fähig dazu. Ich begann, ihr Dinge zu erzählen, die sie schon kannte, Geschichten über Martin Heuer, als wir Kinder und später in der Ausbildung waren und Streife fuhren und uns wichtig vorkamen. Ich wollte ihr andere Dinge erzählen, etwas, das vielleicht zu jenem Moment führte, der mich in die Lage gebracht hatte, in der ich mich jetzt befand. Ich wollte ihr von meinem Vater erzählen und dem Brief, den er auf den Küchentisch gelegt hatte, von dem Satz, den ich so viele Jahre lang nicht verstanden hatte und von dem ich mir nicht sicher war, ob ich ihn heute verstand. Von der Küche wollte ich ihr erzählen, von ihrer Einrichtung, ihren Gerüchen, und von der Lederjacke, die mein Vater zurückgelassen und die ich wie selbstverständlich angezogen hatte und die nach seinem Rasierwasser roch, das seither meine Erinnerungen durchtränkte. Ich wollte, dass sie mich begleitete… dass sie dabei war an jenem Sonntag, dem zweiundzwanzigsten Dezember, im Nachhinein dabei war… in der Küche mit dabei war, damit ich… Ich wollte ihr sagen, wieso… Wieso der Geruch im Vernehmungszimmer und in meiner Erinnerung… Ich wollte mich… Und dann erzählte ich von anderen Dingen, von Dingen ohne Not, Dingen, die passiert und sortiert waren wie Briefe oder Fotos, Dingen, vor denen ich in Sicherheit war, Stunde um Stunde, die halbe Nacht, und Sonja hörte mir zu, und ich redete weiter, und sie hörte mir immer noch zu, und ihr Zuhören war wie eine Geborgenheit.

12
    » E rklären Sie uns diese Bemerkung«, sagte Dr. Michael Vester. »Warum hatte Ihr Kollege und Freund Martin Heuer es verdient, dass Sie ihn schwer verletzt und auf ihn eingeschrien haben?«
    Ich öffnete die Augen und senkte den Kopf.
    Volker Thon und Karl Funkel erwarteten eine Antwort, die sie aus einer für sie unerträglichen Anspannung befreien und ihre Gedanken zu den Ermittlungen zurückkehren lassen sollte. Der Staatsanwalt klopfte mit dem rechten Daumen auf den linken Handrücken und tauschte einen Blick mit Erika Haberl, deren Erkältung etwas abgeklungen zu sein schien, sie hatte nur noch ein Päckchen Papiertaschentücher neben ihrem Laptop liegen.
    »Wir werden die Sache mit Hauptkommissar Heuer intern klären«, sagte Vester. »Momentan liegt er mit gebrochener Nase und schweren Prellungen im Krankenhaus Rechts der Isar, seine linke Schulter war ausgekugelt, die haben die Ärzte inzwischen wieder eingekugelt. Aber das wissen Sie ja alles.«
    »Ich wusste es nicht«, sagte ich.
    »Hat Ihnen Ihre Freundin, Frau Feyerabend, nicht gesagt, wie es um Heuer steht?«
    »Nein.«
    »Sie haben ihn übel zugerichtet«, sagte Vester. »Dem Bericht Ihrer Vernehmung von Torsten Kolb habe ich entnommen, Kolb habe Ihnen vorgeworfen, betrunken zu sein. Bezog sich dieser Vorwurf auf Hauptkommissar Heuer?«
    Ich sagte: »Mit dem Vorwurf wollte er uns provozieren, wie es seine Art ist.«
    »Sie würden also nicht sagen, dass Sie beide, Heuer und Sie, nach Alkohol gerochen haben?«
    »Nein.«
    Aus seiner Aktenmappe, die er ans Tischbein gelehnt hatte, holte er ein Blatt Papier in einer Klarsichtfolie.
    »Hier steht«, sagte er, nachdem er Erika Haberl erklärt hatte, dass es sich um eine Anmerkung handele, »bei den Untersuchungen von Martin Heuer haben die Ärzte einen Alkoholgehalt von zwei Komma null eins Promille in seinem Blut festgestellt. Lesen Sie bitte!«
    Er hielt mir das Blatt hin, und ich nahm es.
    »Martin Heuer war bei der Vernehmung stockbetrunken«, sagte Vester. »Und Sie wollen mir weismachen, Sie haben das nicht bemerkt? War das der Grund, warum Sie die Kontrolle verloren haben? Weil Sie sich nicht von Torsten Kolb, sondern von Ihrem Kollegen provoziert gefühlt haben? Von seiner Trunksucht. Von seinem unprofessionellen Verhalten.«
    Ich schwieg. Ich las die Zahlen auf dem Formular und vergaß sie sofort wieder.
    »Mach endlich eine klare Aussage!«, sagte Volker Thon.
    Funkel kratzte sich an der Lederklappe über seinem linken Auge. »Wir haben keine Zeit zu verlieren«, sagte er.
    »Und wir haben jetzt zwei Mann weniger in der Soko. Ich bitte dich, Tabor, mach deine Aussage! Bitte.«
    Und ich sagte: »Ich weiß nicht, warum ich Martin zusammengeschlagen und Torsten Kolb zu Boden geworfen habe. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.«
    »Das reicht
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