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Süden und das verkehrte Kind

Süden und das verkehrte Kind

Titel: Süden und das verkehrte Kind
Autoren: Friedrich Ani
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herauspumpte.
    »Sie können dann ja eine Stellungnahme abgeben«, sagte er. »Also, wir haben uns um halb sieben getroffen, meine Nastassja und ich, weil, wenn ich sag, ich komm, dann komm ich, das ist wie beim Sex. Ich hab sie abgeholt, sie ist in mein Auto gestiegen, wir sind losgefahren, wir haben uns unterhalten, und dann hatte sie keine Lust mehr, und ich hab sie wieder zurückgefahren. Und mehr gibts nicht zu sagen. Und jetzt muss ich los, weil ich um zehn eine Besprechung hab, und im Gegensatz zu Ihnen bin ich kein Beamter, mir schmeißt keiner mein Geld nach.«
    »Wie lange waren Sie mit Ihrer Tochter zusammen im Auto?«, sagte ich.
    »Und wieso haben Sie uns die ganze Zeit angelogen?«, sagte Martin, ohne dass ich die Chance gehabt hätte, es zu verhindern.
    Kolb kratzte sich am Hals und grinste Erika Haberl an, der die Nase lief, während sie in den Laptop tippte.
    »Mein Mandant gibt zu, seine Tochter im Auto mitgenommen zu haben«, sagte Guus. »Er wollte sich nicht selbst belasten, deswegen hat er zunächst geschwiegen. Er wollte auch seine Familie, besonders seine Ehefrau, nicht belasten. Mein Mandant hat seine Tochter gesund zu Hause abgeliefert.«
    »Wann war das?«, fragte ich. »Um wie viel Uhr?«
    »Kannst du dich erinnern?«, fragte Guus.
    »Irgendwann zwischen halb sieben und sieben.« Kolb sprach zur Wand hinter Erika Haberl.
    »Sie haben sich mit Ihrer Tochter gestritten«, sagte ich.
    »Worum ging es bei dem Streit?«
    Kolb wippte mit dem Stuhl, verzog den Mund, hob generös den Kopf und sah mich aus verengten Augen an, wie sein Sohn. »Sie war sauer, weil ihre Mutter sie nicht weggehen lassen wollt, weil sie sie wieder verprügelt hat, das hat mich genervt.«
    »Haben Sie Ihre Tochter an den Haaren gepackt und geschüttelt?«, sagte ich.
    »Was hab ich?« Mit einer Kopfbewegung forderte er seinen Anwalt auf, etwas zu erwidern.
    »Mein Mandant schlägt seine Tochter nicht«, sagte Guus.
    Ich sagte: »Die Frage war nicht, ob er sie geschlagen, sondern ob er sie an den Haaren gepackt und geschüttelt hat.«
    »Du kannst mich mal am Arsch lecken«, sagte Kolb.
    Als ich den ersten Schritt auf den Tisch zu machte, war da wieder der Geruch nach billigem Rasierwasser und Schnaps, ich ließ ihn hinter mir wie einen Schleier. Vollkommen klarsichtig trat ich vor Torsten Kolb, packte ihn mit beiden Händen am Kopf, zog ihn vom Stuhl hoch und schleuderte ihn in die Ecke unter dem Fenster. Wie eine Puppe. Wie eine Akte. Wie ein Ding. Dann drehte ich mich um, und mir fielen wieder die schmalen braun gebrannten Hände des Anwalts auf. Ich dachte an seinen Urlaub an einem weißen Strand, und der Geruch nach Alkohol wurde unerträglich, und ich holte aus und schlug mit der Faust mitten in Martins Gesicht. Martin kippte mit einem lauten Knall zu Boden, und ich beugte mich über ihn, riss ihn an den mageren Schultern in die Höhe und entkam seinem Atem nicht. Im nächsten Moment knallte ich seinen Kopf gegen die Wand, und dann ein zweites Mal, und jedes Mal waren meine Hände daran schuld, und er sackte vor mir auf den Boden, und ich fing an zu schreien. Ich schrie keine Worte, ich goss einen einzigen, unartikulierten bösen Schrei über ihn, und die Luft ging mir nicht aus. Hinter mir tauchte jemand auf, der etwas sagte, was ich nicht verstand, weil mein Schrei mich betäubte, und ich sah das Blut auf Martins Gesicht und seine zuckenden Arme, und ich schrie, und jemand berührte mich an der Schulter, und dann bekam ich keine Luft mehr.
    Es war, als hätte ich meine Stimme für immer in die Flucht geschlagen, als lägen alle Worte zerschmettert da und darunter begraben mein bester Freund. Um mich herum standen Kollegen, ich sah Paul Weber, Volker Thon und Sonja Feyerabend, und wieder sagte jemand etwas, und ich schaute, und dann begriff ich, dass ich es gewesen war, der gerade gesprochen hatte. Und als ich losging, vorbei an den Gesichtern, an den Körpern, die mir unwirklich und falsch gekleidet vorkamen, fiel mir ein Satz meines Vaters ein, und ich überlegte, ob es dieser Satz war, den ich soeben gesagt hatte, ich wusste es nicht mehr. Aber der Satz ging nicht mehr weg, auf dem Weg durchs Treppenhaus nicht, nicht auf der Straße, vor dem Dezernat nicht, an dem Hunderte von Passanten vorübereilten, und ich bog in die Goethestraße ein und dann in die Einfahrt zum Hof, wo die Dienstwagen standen. Ich hörte den Satz in mir und wollte ihn aussprechen. Im Auto öffnete ich das Seitenfenster, und als ich in der
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