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Süden und das verkehrte Kind

Süden und das verkehrte Kind

Titel: Süden und das verkehrte Kind
Autoren: Friedrich Ani
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verschaffen wollen, und jetzt kam ich mir fehl am Platz vor, als hätte ich eine weitere Ausrede benötigt, um nicht in meiner Wohnung bleiben zu müssen, bei den Splittern meines zertrümmerten Anrufbeantworters und den Wänden, die näher kamen, wenn ich zu lange davorstand.
    Den Rest des Sonntags verbrachte ich damit, Schweigen zu üben. Es gelang mir. Bei Sonja meldete ich mich nicht und sie sich nicht bei mir.
    Am Montagmorgen um Punkt acht Uhr begann die erneute Vernehmung von Torsten Kolb, und ich hatte nicht verhindern können, dass Martin Heuer daran teilnahm. Fünfunddreißig Minuten später war ich auf der Flucht.

11
    N eben Torsten Kolb saß sein Anwalt Dr. Sören Guus, braun gebrannt, die schmalen Hände vor dem Gesicht gefaltet. Kolb trug ein dunkles Sakko und darunter sein olivgrünes Sweatshirt. Martin Heuer, der den beiden gegenübersaß, trug ebenfalls ein Sakko; es war an den Ärmeln abgeschabt, am Rücken fusselig und eine Nummer zu groß. Erika Haberl, die wieder das Protokoll schrieb, hatte ein Nasenspray und drei Päckchen Taschentücher mitgebracht, ihre Erkältung war übers Wochenende stärker geworden, sie sah verquollen und erschöpft aus.
    Ich stand vor dem Fenster, seitlich zum Tisch, und hatte meine Lederjacke nicht ausgezogen.
    »Mein Mandant möchte eine Erklärung abgeben«, sagte Dr. Guus. »Darüber hinaus bittet er darum, dass Sie sich setzen.«
    Im Vernehmungsraum hing ein Geruch nach billigem Rasierwasser, Parfüm, frischer Wäsche und Alkohol. Vielleicht war es der Moment, als ich die Spuren von Schnaps in der Luft wahrnahm, von dem an ich jede Bewegung, jede unbedeutende, gleichgültige Regung dieses Familienvaters mit distanzloser Genauigkeit registrierte, als hätte ich meine Entscheidung schon gefällt, viele Minuten bevor ein paar belanglose dumme Worte mich aus dem Gleis warfen.
    Ich sagte: »Ich stehe lieber.«
    »Mein Mandant bittet Sie darum, sich zu setzen.«
    Ich schwieg.
    »Wir warten auf die Erklärung Ihres Mandanten«, sagte Martin.
    Ohne Martin oder Guus anzusehen, sagte Kolb: »Seinen Namen hab ich jetzt vergessen, wie heißt der?«
    »Hauptkommissar Martin Heuer«, sagte Guus.
    »Und wie heißt der nächstes Jahr?«, sagte Kolb mit einer Grimasse, als wäre er der Erfinder dieses Scherzes.
    Das Sirren der Neonröhre und das Schniefen von Erika Haberl waren eine Weile die einzigen Geräusche.
    »Sie sollten jetzt sprechen«, sagte Guus, an Kolb gewandt. Dieser nickte mehrmals und lehnte sich zurück. Dann schaute er zu mir.
    »Obacht jetzt!«, sagte Torsten Kolb. Er zog die Augenbrauen hoch, fuhr sich mit dem Zeigefinger über den Schnurrbart, zupfte mit der linken Hand, deren Nägel abgekaut waren, am Kragen seines Sakkos. »Ich hab meine Nastassja am Freitag gesehen. Okay.«
    »Wann genau haben Sie sie gesehen?«, sagte ich.
    »Ausreden lassen!«
    »Bitte«, sagte der Anwalt. »Herr Kolb möchte wirklich alles sagen, was er weiß. Sie brauchen nicht nachzufragen.«
    »Wir fragen so oft nach, wie wir wollen«, sagte Martin.
    »Wer spricht denn jetzt mit dir?«, sagte Kolb.
    »Hören Sie auf, uns zu duzen«, sagte ich.
    »Bitte, Torsten!«, sagte Guus.
    »Die wollen doch mir gar nicht zuhören! Die haben ja ihre Meinung schon im Kasten! Das sind Gesinnungspolizisten. Die wollen mich verantwortlich machen, weil sie selber nicht klarkommen. Die sind zu blöd, meine Tochter zu finden, und jetzt soll ich dran glauben.«
    »Was soll das für eine Erklärung sein?«, sagte Martin.
    »Was redet Ihr Mandant für ein Zeug? Wir unterbrechen die Vernehmung, das ist ja lächerlich.«
    »Sie sind lächerlich!«, sagte Kolb laut und beugte sich über den Tisch, nah vor Martins Gesicht. »Schlafen Sie erst mal Ihren Rausch aus, bevor Sie mich hier anmachen! Erklär dem, dass ich mich weiger, mit einem besoffenen Polizisten zu sprechen.« Er trommelte mit den Fingern auf den Tisch und lehnte sich wieder zurück.
    »Capice?«
    »Haben Sie Alkohol getrunken?«, fragte Guus.
    »Nein«, sagte Martin.
    Ich sagte: »Es wäre gut, wenn Sie mit Ihrer Aussage fortfahren würden, Herr Kolb.«
    »Sie haben mich zwei Nächte eingesperrt«, sagte Kolb.
    »Ohne Beweise. Wenn ich hier rausgeh, dann können Sie sich morgen in der Zeitung lesen. Sie und Ihr besoffener Kollege…«
    »Bitte, Torsten!«, sagte der Anwalt.
    Ich sagte: »Lassen Sie Ihren Mandanten nur ausreden.«
    Ich sah, wie sich Kolbs Bauch hob und senkte, wie er tat, als fühle er sich provoziert, wie er einen Helden aus sich
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