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Süden und das verkehrte Kind

Süden und das verkehrte Kind

Titel: Süden und das verkehrte Kind
Autoren: Friedrich Ani
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die Schwester hinter der Glasfront uns wachsam beobachtete.
    »Wissen Sie von dieser Begegnung, Frau Kolb?«
    Sie drehte den Kopf zur Wand, und wir warteten zehn Minuten auf eine Antwort.
    Schließlich sagte ich: »Erholen Sie sich! Wenn Sie mit mir sprechen möchten, sagen Sie es der Schwester, die ruft mich an.«
    Draußen vor dem überdachten Eingang des Krankenhauses zeigte Fabian auf den Fußweg zur U-Bahn. »Ich fahr zum Harras und von da darf ich mir ein Taxi nehmen.«
    »Spar dir das Geld«, sagte ich. »Wir fahren dich nach Hause.«
    »Ich fahr lieber mit der U-Bahn.«
    »Heute fährst du ausnahmsweise mit uns, du musst auch nicht sprechen.«
    Und das tat er dann auch nicht.
    Und sein Vater genauso.
    Beginn der Vernehmung: Samstag, sechster April, dreiundzwanzig Uhr.
    Anmerkung: Der Tatverdächtige Torsten Kolb erklärt sich bereit, Hauptkommissar Süden aus der Unterbringungszelle ins Vernehmungszimmer zu folgen. Außerdem anwesend: HK Volker Thon und die Schreibkraft Haberl.
    HK Thon: »Sie haben gestern Abend gegen siebzehn Uhr dreißig Ihre Tochter Nastassja getroffen und im Auto mitgenommen. Sie haben sich mit ihr gestritten. Dabei sind Sie beobachtet worden. Haben Sie also gestern Ihre Tochter von zu Hause abgeholt?«
    Anmerkung: Der Tatverdächtige legt die Hände auf den Tisch und senkt den Kopf, ohne ein Wort zu sagen.
    HK Thon: »Warum sind Sie hier, wenn Sie die Aussage verweigern?«
    Anmerkung: Der Tatverdächtige starrt mit gesenktem Kopf auf den Tisch.
    HK Süden: »Als Sie sich von Ihrer Tochter getrennt haben, hat sie noch gelebt.«
    Anmerkung: Der Tatverdächtige hebt den Kopf und sieht HK Süden an, offensichtlich überrascht. Dann senkt er den Kopf wieder.
    HK Süden: »Haben Sie Ihre Tochter an den Haaren gepackt und geschüttelt? So.«
    Anmerkung: Nah vor dem Gesicht des Tatverdächtigen macht HK Süden mit erhobenem Arm und geballter Faust heftige Bewegungen, als würde er einen Haarschopf packen und den Kopf hin und her zerren. Er tut das so lange, bis der Tatverdächtige aufschaut. Seine Miene ist ernst und er scheint über etwas nachzudenken, er zieht die Stirn in Falten. HK Süden beendet die Demonstration. Der Tatverdächtige grinst.
    HK Süden: »Sie waren gegen neunzehn Uhr dreißig im Dantebad, das haben Kollegen von mir rekonstruiert. Sie waren bis zwanzig Uhr dreißig im Schwimmbad und sind hinterher in das dazugehörige Lokal gegangen, wo Sie eine Currywurst mit Pommes frites gegessen und drei Biere getrunken haben. Wo waren Sie anschließend?« Anmerkung: Der Tatverdächtige verweigert die Aussage.
    HK Süden: »Lieben Sie Ihre Tochter?«
    Anmerkung: Der Tatverdächtige verweigert die Aussage. HK Süden: »Lieben Sie Ihre Frau?«
    Anmerkung: Der Tatverdächtige verweigert die Aussage. HK Süden: »Lieben Sie Ihren Sohn?«
    Anmerkung: Der Tatverdächtige verweigert die Aussage. HK Süden: »Gibt es jemanden, den Sie lieben?« Anmerkung: Der Tatverdächtige verweigert die Aussage.
    Ende der Vernehmung: Samstag, sechster April, dreiundzwanzig Uhr dreißig.
    Das rote Licht des Anrufbeantworters blinkte, aber ich kümmerte mich nicht darum. Im Zimmer mit den gelben Wänden, in dem nichts als ein alter Holzstuhl stand, zog ich mich aus, legte die Sachen über den Stuhl und stellte mich ans Fenster, als erwartete ich von der Welt einen Wink. So verharrte ich eine halbe Stunde oder eine Stunde in der Dunkelheit, überließ meine Gedanken sich selbst, zumindest bildete ich mir das ein, und drückte die Hände flach gegen die Fensterscheibe, bis die Kälte meinen ganzen Körper erfasst hatte. Dann ging ich in den Flur und drückte den Knopf des Anrufbeantworters, und auf dem Display leuchtete eine rote Acht.
    Martin hatte achtmal angerufen und Zeug erzählt, von dem ich keinen zusammenhängenden Satz verstand, er nuschelte, lallte, grunzte und gab Töne von sich, die sich anhörten wie von einer kaputten Trompete. Er beschimpfte Matrimonia Kolb, auch mich und Sonja, stieß Flüche aus und legte jedes Mal mitten im Satz auf.
    Ich ging in die Küche und holte aus einem Werkzeugkasten einen Hammer und zertrümmerte mit drei Schlägen den Anrufbeantworter. Warum ich das tat, wusste ich nicht, es war eine Kettenreaktion, je länger ich Martin zuhörte, desto höher stieg eine schwarze Wut in mir. Spitze und eckige Teile spritzten vom Gerät, und ich ließ sie auf dem Boden liegen, räumte den Hammer weg und legte mich im anderen Zimmer aufs Bett und schlief bald ein.
    Am Sonntagvormittag
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