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Süden und das verkehrte Kind

Süden und das verkehrte Kind

Titel: Süden und das verkehrte Kind
Autoren: Friedrich Ani
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nicht!«, sagte Vester laut. Dann wollte er noch etwas anfügen, blieb aber stumm.
    »Du bist vorübergehend vom Dienst befreit«, sagte Thon. »Hoffen wir, dass sich der Anwalt an unsere Abmachungen hält. Und vor allem, dass sich Kolb an die Anweisungen seines Anwalts hält. Über das weitere Vorgehen…«
    Jemand klopfte an die Tür.
    »… bespreche ich mich mit Dr. Vester. Sind Sie einverstanden?«
    Der Staatsanwalt nickte, schüttelte den Kopf, steckte das Krankenhausblatt in die Mappe zurück.
    »Ja!«, sagte Funkel.
    Freya Epp streckte den Kopf herein. »Entschuldigung. Fabian Kolb hat gerade angerufen, er will dich sprechen, Tabor. Nur dich, hat er ausdrücklich gesagt, also ich hab… zuerst hab ich gefragt…«
    »Wo ist er jetzt?«, sagte ich.
    »Er ist… er sagt… also, er… zuerst wollt er das nicht sagen…«
    »Wo ist er?«, sagte ich.
    »Er sagt, du sollst in den ›Burgerking‹ am Stachus kommen.«
    »Er wartet dort?«
    »Hat er gesagt.«
    »Wann hat er angerufen?«
    »Vor zwei Minuten, ich hab gesagt, du bist in einer Besprechung und… Er wollte wirklich nur dich sprechen…«
    Freya schloss die Tür wieder.
    »Sie werden nicht gehen«, sagte Dr. Vester. »Jemand aus der Soko wird den Jungen treffen und ihn hierher bringen. Wenn er eine Aussage machen will, dann nur im Dezernat.«
    »Ich gehe zu ihm«, sagte ich.
    »Sie sind nicht befugt«, sagte Vester. »Sie sind nicht im Dienst.«
    »Wir sollten es riskieren«, sagte Thon. »Der Junge hat Vertrauen zu ihm. Er hat schon einmal relativ offen mit ihm gesprochen.«
    »Das hab ich gelesen!«, sagte Vester. »Was ist das für eine Disziplin in dieser Abteilung! Das ist ja lächerlich! Wir befreien einen Kollegen aus guten Gründen vom Dienst und fünf Minuten später schicken wir ihn zu einer wichtigen Vernehmung. Wenn sich das rumspricht…«
    »Ich bin dafür«, sagte Funkel. »Ich finde es richtig, wenn er den Jungen trifft. Fabian würde mit niemand anderem sprechen, da bin ich sicher. Wir sind auf seine Aussage angewiesen.«
    »Du nimmst Freya mit«, sagte Thon. Ich sagte: »Ich gehe allein.«
    »Du nimmst sie mit.«
    »Nein«, sagte ich und verließ das Zimmer.
    Auf dem Weg zur Sonnenstraße, wo sich das Lokal befand, nur ein paar Minuten vom Dezernat entfernt , empfand ich eine vage Furcht vor dem, was mir der Junge zu sagen hatte.
    Bevor ich hineinging, rief ich von einer Telefonzelle aus noch einmal im Dezernat an.
    »Du musst doch kommen«, sagte ich.
    »Bin gleich da«, sagte Freya Epp.
    Natürlich hatte Thon Recht gehabt. Allein würde ich unmöglich die Vernehmung führen und gleichzeitig mehr mitschreiben können als bloße Stichpunkte, die in diesem Zusammenhang für einen verwertbaren Bericht nicht ausreichen würden. Und da Erika Haberl in der Vermisstenstelle gebraucht wurde, wandte ich mich an Freya, die bei Befragungen schon öfter protokolliert hatte. Außerdem schätzte ich ihre zurückhaltende distanzierte Art gegenüber Zeugen.
    Den Jungen entdeckte ich im ersten Stock des Lokals, er saß auf einer der roten Plastikbänke am Fenster und blickte hinunter auf die viel befahrene Straße. Vor sich hatte er ein Tablett mit einer Cola und einer Tüte Pommes frites stehen. Ich hatte mir einen Kaffee und einen Cheeseburger gekauft und mich gefragt, wie ich dieses Frühstück runterbringen sollte.
    Wortlos setzte ich mich Fabian gegenüber. Mit zusammengekniffenen Augen schaute er durchs Fenster.
    »Eine Kollegin von mir kommt noch«, sagte ich. »Sie mischt sich aber in unser Gespräch nicht ein, sie schreibt nur mit, ich brauche hinterher ein Protokoll, du bist schließlich mein wichtigster Zeuge.«
    Fabian sagte nichts. Ich trank einen Schluck des heißen schwarzen Kaffees aus dem Pappbecher. Wir waren die einzigen Gäste. In der Mitte des Raumes hing ein Fernseher, eine Musiksendung lief, und die Lautstärke war gerade noch erträglich.
    Draußen, auf dem Mittelstreifen der Straße, durchquerten Trambahnen die Stadt von Norden nach Osten. Der »Burgerking« lag im Zentrum, neben einem Kino, in dem hauptsächlich Actionfilme gezeigt wurden, und in der Nähe der meistbesuchten Fußgängerzone der Stadt.
    Bis Freya Epp auftauchte, hatten Fabian und ich kein Wort gewechselt, als habe er auf die Protokollantin gewartet. Denn kaum hatte sie sich neben mich gesetzt und ihren Block aufgeschlagen, sagte er: »Ist mein Vater im Gefängnis?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Ist auch egal«, sagte der Junge, legte die Hände neben das Tablett und
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