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PR 2695 – Totenhirn

PR 2695 – Totenhirn

Titel: PR 2695 – Totenhirn
Autoren: Michael Marcus Thurner
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1.
    Der Unsterbliche
     
    Eine Erinnerung:
    Reginald Bull war von leeren, halb leeren und fast noch vollen Whiskeyflaschen umgeben. Sie umtanzten ihn, rauchig braun getönte Glasgefäße. Sie klimperten gegeneinander, spielten mit seinen sensiblen Nervenenden und bewirkten, dass er am liebsten laut schreiend weggelaufen wäre, nur raus aus diesem verfluchten Pub namens »Foggy Dew«.
    »Du verträgst nicht sonderlich viel«, sagte sein Saufkumpan Luke. Er schob ihm ein weiteres Glas vor die Nase, die bernsteinfarbene Flüssigkeit schwappte leicht über.
    Bull schüttelte energisch den Kopf. »Ich habe Amerikaner, Deutsche und Schotten unter den Tisch gesoffen, und die Schotten waren meine fürchterlichsten Gegner. Ich habe sie allesamt besiegt. Aber du, du schaffst mich.«
    »Ich verrate dir ein Geheimnis, Bull.« Luke schüttelte das krause rote Haar, Schweiß spritzte nach allen Richtungen. »Trink zwischen den Whiskeys das eine oder andere Guinness. Lauwarm. Dann musst du pissen wie ein Ochse und spülst den stärkeren Alkohol aus deinem Körper, bevor er zu wirken beginnt.«
    »Blödsinn«, murmelte Bull. Er starrte auf die Maserung des Holzes jener Bar, an der sie standen. Oder saßen? Er wusste es nicht. Die Maserung jedenfalls bewegte sich, sie verlief in Schlangenlinien, und das war nicht richtig so. »Du bist ein seltsamer Kerl, Luke. Jetzt schwafeln wir schon den ganzen Abend, und du hast die eine Frage noch immer nicht gestellt.« Jedes Wort erforderte Bulls ganze Konzentration.
    »Welche Frage meinst du?«
    »Wie es so ist in Galakto City. Als zweiter Mann hinter Perry Rhodan. Als sein Wachhund, als Sicherheitsminister und so.«
    »Meinst du, das interessierte mich?« Luke winkte den Barmann näher und bestellte eine weitere Flasche.
    »Ich seh's dir genau an! Ich habe über deine politischen Ansichten gelesen. Die kritischen Aufsätze, die du veröffentlicht hast. Ich weiß, wie sehr du dich gegen den mörderischen Expansionstrieb stellst, dem wir in Galakto City angeblich frönen. Also, mach schon! Stell deine Frage!«
    »Du bist auf Urlaub, nicht wahr?«
    »Das kannst du laut sagen, Luke. Dem ersten seit mehr als drei Jahren. Seitdem wir dieses arko... arkonidische Schiff auf dem Mond entdeckt haben, gab es keine Sekunde Ruhe für mich. Für uns.«
    »Dann werde ich den Teufel tun und dich mit Fragen löchern. Ich habe alles gesagt, was zu sagen ist.«
    »Wir haben kein Wort über Politik gesprochen.«
    »Aber ich habe darüber gesungen.«
    Bull versuchte sich zu erinnern. Er hatte den fünf Iren auf der Bühne mit steigender Begeisterung zugehört, insbesondere mit Blick auf Luke und Ronnie, deren Bühnenpräsenz ihn beeindruckt hatte. Doch nun war sein Kopf schwer wie Beton, und er musste darauf achten, nicht gegen das Holz mit den tanzenden Maserungslinien zu prallen. Die Linien wurden größer und kleiner, drehten sich im Kreis, verbanden sich miteinander.
    Ihm war schrecklich übel.
    »Meinst du einen Song im Speziellen?«, fragte er müde.
    »Den über Derry.« Luke Kelly prostete ihm zu, leerte sein Glas und grinste wie ein irischer Kobold, wie ein Leprechaun.
    Danach war kaum noch etwas, woran sich Bull erinnern konnte. Vage Gedanken an viel zu viel Alkohol, an Gegröle, an einen Nachhauseweg gekrümmte und verbogene Straßen entlang, an eine rothaarige Frau, die ihn in die Arme genommen hatte.
    An eine Kloschüssel, die er in dieser Nacht zärtlicher umarmt hatte als ebendiese rothaarige Frau.
    Er erwachte.
     
    *
     
    Reginald Bulls Kopf schmerzte wie damals, vor etwa dreitausend Jahren, als Terrania noch den alten, programmatischen, angeberischen Namen getragen hatte. Galakto City. Doch schon bald hatten sie erkannt, dass die Stadt der Dritten Macht gar nicht Zentrum der Galaxis sein wollte, sondern Hauptstadt einer geeinten Menschheit. Menschen wie Luke hatten dazu beigetragen, dieses Bewusstsein zu etablieren. So lange her ...
    Der Kopf hämmerte diesmal in dumpfer Benommenheit, die nicht dem Alkohol geschuldet war, sondern den Sorgen um die Heimat, um Terra. QIN SHI war nahe.
    Es ging um Leben und Tod. Wie so oft. Und er würde Befehle geben, bei denen er zwischen Nutzen und Kosten abwägen musste.
    Er stand auf, stellte sich unter die Dusche und genoss das Gefühl feinsten Sprühregens auf Kopf, Bauch, Rücken und Schultern.
    Bull hatte keinerlei konkrete Erinnerung mehr an die Rothaarige. Sie war irgendwo verschwunden, zwischen vielem anderen, das Platz hatte machen müssen für andere,
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