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Süden und das heimliche Leben

Süden und das heimliche Leben

Titel: Süden und das heimliche Leben
Autoren: Friedrich Ani
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nicht.
    Von der Bank beim Pinguinhaus hatte er sie mit schnellen, eckigen Schritten näher kommen sehen und sie beobachtet, wie sie nach Luft schnappte und das Seitenstechen sie quälte.
    »Haben Sie Geld?«, fragte Süden.
    »Ich wollte nichts essen«, sagte Ilka. »Ich wär irgendwann in ein Becken gesprungen und hätt mich auffressen lassen.«
    Sie sagte es mit ruhiger, fast gleichgültiger Stimme. Sie ging weiter, als habe sie vom Wetter gesprochen oder eine Bemerkung über den Pfau gemacht, der neben ihnen über die Wiese stolzierte.
    »Das hätten Sie nicht getan«, sagte Süden.
    Sie blieb stehen, wollte die Hand wegziehen, aber Süden ließ nicht los. »Was wissen Sie denn von mir? Gar nichts, stimmt’s? Sie haben einen Auftrag gekriegt, und den führen Sie aus und sonst nichts. Wieso sagen Sie zu mir, das hätt ich nicht getan? Wieso erniedrigen Sie mich so? Wieso denn? Sie wissen überhaupt nicht, zu was ich fähig bin. Sie bilden sich ein, ich bin ein blödes Ding, das man gut rumschubsen kann. Alle denken immer, ich bin blöd. Kann schon sein, dass ich blöd gewesen bin. Natürlich bin ich blöd gewesen, daran gibt’s keinen Zweifel. Aber heut bin ich nicht mehr blöd, und wenn ich sag, ich wär ins Wasser gesprungen und hätt mich auffressen lassen, dann stimmt das, und Sie haben kein Recht, das anzuzweifeln. Sie dürfen das nicht, niemand darf das. Und jetzt lassen Sie meine Hand los, damit ich meiner Wege ziehen kann, die Sie nichts angehen. Und noch was: Sie sind in meine Wohnung eingedrungen und haben sich da breitgemacht. Hab ich Ihnen das erlaubt? Nein. Sie sind in meine Wohnung eingebrochen, und jetzt wollen Sie in mein Leben einbrechen. Nein.«
    Sie zerrte an seiner Hand, nahm die andere Hand zu Hilfe, rüttelte an Südens Arm. Er gab nicht nach.
    »Ich bin nicht eingebrochen«, sagte er. »Ich hatte einen Schlüssel.«
    »Von der Paula, der Verräterin«, sagte Ilka.
    »Wo ist Bertold Zeisig?«
    Ähnlich wie vorhin zog sie unter der Frage die Schultern hoch und wirkte eine Weile verwirrt und aufgescheucht.
    »Ist das sein Mantel?«, sagte Süden.
    »Nein.«
    »Sie lügen.«
    »Sie sollen aufhören, mich zu beleidigen.«
    »Ich beleidige Sie nicht.«
    »Dann hauen Sie ab«, schrie sie. Sie zerrte an seinem Arm, versuchte, nach Süden zu treten. Er packte auch ihr anderes Handgelenk und drängte sie gegen die Mauer des Andenkenladens. Ihre Stiefel trafen sein Schienbein, er musste aufpassen, dass ihre Fäuste nicht sein Gesicht berührten. Ihr Körper bebte, der Mantel gab ein knirschendes Geräusch von sich.
    Schließlich stampfte sie mit den Füßen auf wie ein vor Zorn überbordendes Mädchen. »Ich zeig Sie an. Sie sind ein Einbrecher und ein Verbrecher, und ich werd …«
    Ohne dass sie es bemerkte, ließ er ihre linke Hand los und hielt ihr den Mund zu. Er presste seine Hand flach auf ihre Lippen und Nase und drückte sie mit dem Gewicht seines Körpers gegen die Holzverschalung des Ladens.
    Sie riss die Augen auf und versuchte, Gegenwehr zu leisten, was ihr nicht gelang. Unter den zahlreichen Kilos des Detektivs rang sie nach Luft, so massiv lastete sein nach vorn gebeugter Körper auf ihrer Brust.
    Er hielt ihr weiter den Mund zu und ließ nur die Nase frei. »Sie sind still«, sagte er, so nah vor ihrem Gesicht, dass seine grünen Augen sie erschreckten. »Wir sind beide still. Und wenn wir das geschafft haben, gehen wir durch diese Drehtür nach draußen und in die Fraunbergstraße.«
    Zum dritten Mal ging eine Erschütterung in ihr vor, gegen die sie machtlos war. Sie drehte den Kopf weg. Süden nahm die Hand von ihrem Mund. Sie keuchte wie nach einem langen Lauf in großer Hitze.
    Den Namen der Straße, den Ilka Senner dem Taxifahrer am Tierfriedhof genannt hatte, hatte Süden sich notiert, da er ihn nicht kannte.
    Ihr Widerstand lohnte nicht. Süden ließ ihre Hand los.
    Hintereinander gingen sie durch die Tür mit den Eisenstreben. Am Kiosk gegenüber standen Leute und tranken Bier. Autos fuhren vorüber.
    Süden sagte: »Wohnt Zeisig in der Fraunbergstraße?« Er nahm Ilka wieder bei der Hand, und sie wehrte sich nicht.
    »Nein«, sagte sie und trottete neben ihm her, an der Mauer des Zoos entlang, über die Brücke mit den kleinen Liebesschlössern, bis zum improvisierten Maibaum an der Bushaltestelle.
    Auf dem Weg dorthin sprachen sie kein Wort. Sie wirkten wie ein Liebespaar, das sich nichts zu sagen hatte und, ihren schlurfenden, behäbigen Schritten nach zu urteilen,
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