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Zu feindlichen Ufern - [3]

Zu feindlichen Ufern - [3]

Titel: Zu feindlichen Ufern - [3]
Autoren: Bastei Lübbe
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K APITEL EINS
    Sie warteten auf die Erlaubnis des Hafenadmirals, in See stechen zu dürfen.
    Seeleute begreifen mit der Zeit, wie abhängig sie vom Wind, dem Wetter und von den Gezeiten sind, und begegnen diesen Naturvorgängen mit einer Geduld, die man auch als stoische Gelassenheit bezeichnen könnte. Wenn hingegen ein Schiff aufgrund menschlichen Verhaltens im Hafen festsitzt – wie Haydens Schiff im Augenblick –, so ruft das bei einem Seemann eine gänzlich andere Reaktion hervor.
    Mr Barthe stampfte übers Deck und beeindruckte die ihm unterstellten Offiziere mit der Bandbreite des englischen Wortschatzes – allerdings handelte es sich hierbei eher um sprachliche Auswüchse, die nicht für die Ohren einer Dame bestimmt waren. Die anderen Deckoffiziere blieben wortkarg, waren jedoch verdrießlich und leicht reizbar, was die Mannschaft wiederum rasch spürte. Daher passten sich die Männer der jeweils vorherrschenden Stimmung an Deck an.
    Hayden verspürte den Wunsch, am kommenden Morgen gleich bei Anbruch des Tages auszulaufen und über den Plymouth Sund in den Ärmelkanal zu segeln, noch ehe die Decks trocken waren. Aber der Vormittag war verstrichen, und die Erlaubnis zum Auslaufen ließ weiter auf sich warten. Der Nachmittag neigte sich fast dem Ende, der Tag verging wie im Fluge.
    Was hatte der Erste Sekretär noch gleich gesagt? Ich möchte, dass Sie auf See sind – und zwar bis auf Weiteres –, sobald sich das arrangieren lässt . Diese Worte lösten ein unangenehmes Prickeln bei Hayden aus. Den Ausdruck »bis auf Weiteres« empfand er als höchst unheilvoll. Was erwartete ihn? Wer würde ihn zurückbeordern, und warum?
    Wenn der Hafenadmiral sich doch entgegenkommender erweisen würde! Die zögerliche Haltung dieses Mannes im Hinblick auf Haydens Ersuchen, die Segel setzen zu dürfen, war mehr als beunruhigend und seltsam. In Hayden kam die Frage auf, ob der Hafenadmiral dem Ansinnen des »Feindes« diente. Ob das der Grund war für das zögerliche Verhalten des Mannes, Haydens Bitte nachzukommen? Denn jeden Moment könnten Befehle aus Whitehall Street eintreffen, die Hayden seines Kommandos entheben würden.
    Derartige Gedanken schlichen sich in seinen Geist, nachdem der Erste Sekretär ihn hatte wissen lassen, es stehe fortan nicht mehr in seiner Macht, Hayden ein vergleichbares Kommando zu beschaffen, sollte Hayden dieses Kommando ablehnen. Bei Aussagen wie diesen bekam man den Eindruck, dass geheime Kräfte gegen einen arbeiteten – oder etwa nicht?
    Hayden hingegen machte sich bewusst, dass er nicht in der geistigen Verfassung war, in der er als Kommandant hätte sein müssen. Er befürchtete, dass er sich viel zu viel Gedanken machte – oder nicht annähernd genug über Dinge nachdachte, die unbedeutend zu sein schienen. Aufgrund der Entfremdung von Henrietta schlief er kaum noch. Sein Magen rebellierte stärker als sonst bei der Nahrungsaufnahme, und gedanklich konnte er sich immer schlechter auf die Angelegenheiten des Tages einstellen.
    Ein Teil von ihm hoffte, man möge ihn tatsächlich seines Kommandos entheben, damit er nach London zurückkehren könnte, um endlich Henrietta aufzusuchen. Denn dann könnte er ihr erklären, dass er sich falschen Anschuldigungen ausgesetzt sah – hatten ihn doch die Damen Bourdages, Mutter und Tochter, in Verruf gebracht.
    Unruhig schritt Hayden in seiner Kajüte auf und ab, warf hin und wieder einen Blick aus der Heckgalerie und sah den Hafen von Plymouth und die Felder jenseits des östlichen Uferverlaufs. Das frische Grün des Frühlingsgrases wiegte sich in der Brise – eine geeignete Brise, um Kurs auf Le Havre zu nehmen. Hayden hatte den Befehl erhalten, eine Fregatte zu erobern oder zu zerstören, die diesen Hafen als Basis benutzte, um von dort aus britische Schiffe zu terrorisieren.
    Als es an die Tür klopfte, wurde Hayden aus seinen Überlegungen gerissen, was er beinahe als Erleichterung empfand, da sich seine Gedanken seit Stunden im Kreis drehten.
    Auf Haydens Ruf hin drückte der wachhabende Seesoldat die Tür zur Kajüte einen Spalt auf. »Mr Barthe, Sir …«
    »Lassen Sie ihn vor.«
    Mit watschelndem Gang schob der Master seinen beträchtlichen Bauch vor sich her. Den alten Hut hatte er unter seinen Arm geklemmt, sodass sich das graue Haar von den geröteten, hängenden Wangen abhob – wie Asche und Flammen, dachte Hayden.
    »Jetzt erzählen Sie mir bitte nicht, dass Sie beträchtliche Schäden an unserem Rigg entdeckt haben, Mr
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