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Das Reliquiar

Das Reliquiar

Titel: Das Reliquiar
Autoren: Emma Seymour
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Konstantinopel, 13. April 1204
    Kämpfe wüteten in der gepeinigten Stadt.
    Um jede Straße wurde gekämpft, um jedes einzelne Haus, und der Schein der Feuer spiegelte sich auf den Wassern des Goldenen Horns wider, während Rauchsäulen gen Himmel stiegen.
    Die Kreuzfahrer metzelten alle nieder, ohne Unterschied von Geschlecht und Alter. Überall wurde geschrien, gejammert, geweint und gefleht. Das Getöse der Gefechte war ohrenbetäubend. Was die Kreuzfahrer nicht rauben konnten, zerstörten sie systematisch und verschonten dabei nicht einmal die Kirchen. Die wildesten Kämpfe fanden beim belagerten kaiserlichen Palast statt, wo die warägische Wache und petschenegische Söldner einen ebenso mutigen wie sinnlosen Widerstand leisteten.
    Die Stadt Konstantinopel erlebte ihre verzweifeltsten Stunden.
    Doch in der Basilika der Heiligen Sophie herrschte relative Ruhe.
    Die Soldaten hatten sie noch nicht erreicht, und die Mönche versuchten, die kostbaren Reliquien in Sicherheit zu bringen, damit sie nicht in gottlose Hände fielen. Eile war geboten, aber trotzdem wurden die Objekte liebevoll in Lappen gewickelt und in Säcken verstaut, bevor man sie der Obhut jener übergab, die sie fortbringen
sollten. Die Ritter des Konstantin-Ordens bewachten den Eingang und hielten ihre Waffen bereit.
    Arrigo Brandanti, Großmeister des Konstantin-Ordens und der Hüter des Heiligen Kreuzes, eilte die Treppe hinab und durch mehrere Flure, erreichte schließlich die Krypta. Dort ruhte in einem goldenen Reliquiar ein mit Edelsteinen besetztes Kreuz, das tausend Jahre zuvor auf Geheiß von Kaiserin Helena geschaffen worden war und ein Fragment des Kreuzes enthielt, an dem Jesus gestorben war. Der Mann öffnete das Reliquiar, nahm voller Ehrfurcht das Kreuz heraus, hüllte es in ein Tuch und steckte es dann in die umgehängte Satteltasche. Rasch kehrte er zur steilen Treppe zurück, die nach oben in die Kirche führte. Auf halbem Weg vernahm er, gedämpft, aber unverkennbar, Kampfgeräusche. Er hastete die restlichen Stufen empor bis zum Ende der Treppe hinter dem Hauptaltar und sah sich einem Chaos gegenüber.
    Die Kreuzfahrer waren in die Kirche eingedrungen, und viele Ritter hatten den Versuch, sie aufzuhalten, mit dem Leben bezahlt. Andere kämpften noch immer mit dem Mut der Verzweiflung. Die Mönche, die sich nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht hatten, waren niedergemetzelt worden, und mit Flüchen und Gotteslästerungen stritt die Soldateska um den auf dem Boden verstreuten Inhalt der Säcke.
    Niemand schien Arrigo zu bemerken.
    Der Mann begriff, dass er den wenigen noch lebenden Rittern, die weiterhin mutig kämpften, nicht helfen konnte. Außerdem bestand seine Aufgabe darin, das Kreuz vor den Plünderern zu retten. Er versuchte, nicht auf die schrecklichen Szenen zu achten, als er über Leichen
und Sterbende hinwegstieg und zum Nebeneingang eilte, der nur wenige Schritte vom Altar entfernt war. Er hatte ihn fast erreicht, als plötzlich zwei Soldaten vor ihm erschienen.
    »He, wohin willst du?«, fragte einer von ihnen, ein Mann, dessen pockennarbiges Gesicht wie eine Kraterlandschaft wirkte, und richtete das Schwert auf Arrigo.
    Der zog blitzschnell sein eigenes Schwert, das unter dem Umhang verborgen gewesen war, und stieß es dem Soldaten in den Leib. Aber bevor er es wieder herausziehen konnte, griff der zweite Soldat wütend an, und aus einem Reflex heraus hob Arrigo den Arm, um sich zu schützen. Sein Kettenhemd verhinderte, dass die Klinge tief schnitt, doch es spritzte trotzdem Blut aus der Wunde. Der Soldat war zwar kein großer Kämpfer, aber erfahren genug, um zu wissen, dass die Verletzung seinen Gegner schwächte, und diesen Vorteil nutzte er aus.Tatsächlich fühlte Arrigo seine Kräfte rasch schwinden. Er schlug noch einige Male fest mit seinem Schwert zu, und es gelang ihm sogar, einen Hieb abzuwehren, der seinem Kopf gegolten hatte.
    Aber letztendlich konnte er nicht verhindern, dass ihn das Schwert des Soldaten am Rücken traf, mit solcher Wucht, dass es das Kettenhemd durchschnitt und sich bis auf die Wirbelsäule bohrte.Arrigo sank zu Boden und sah noch das Grinsen des Kreuzfahrers, als er sich über ihn beugte und ihm die Satteltasche entriss. Dann löschte Dunkelheit alles aus.

Syrische Wüste, 27. September 2006
    »Sie bringen uns alle um!«, entfuhr es Sandro Belli.
    »Nicht wenn wir Ruhe bewahren«, sagte Elena.
    »Wie kannst du dir da sicher sein? Wir sind gefangen!«
    »Elena hat Recht«, warf
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