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Das Reliquiar

Das Reliquiar

Titel: Das Reliquiar
Autoren: Emma Seymour
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Elena ist auch einsam. Der Tod ihrer Eltern hat tiefe Spuren bei ihr hinterlassen. Ihre sportlichen Erfolge und die brillante Karriere haben sie nicht glücklicher gemacht. Ich glaube, sie hat noch nicht gefunden, wonach sie sucht.«
    »Du bist also der Meinung, sie habe sich kopfüber in die Arbeit gestürzt, um eine Leere zu füllen?«
    »Ja, in gewissem Sinne.«
    »Du kennst sie länger als ich, und deshalb muss ich in Betracht ziehen, dass du Recht haben könntest. Aber dein Eindruck widerspricht dem äußeren Schein.Wenn man dich hört, könnte man glauben, dass zwei Frauen in ihr stecken: die eine stark und selbstsicher, die andere zerbrechlich.«
    Monica lächelte. »Sind wir nicht eigentlich alle so? Wir versuchen, unsere Schwächen hinter einer Maske zu verstecken. Elena geht schwierige Situationen mutig und mit kühlem Kopf an, was aber nicht heißt, dass sie keine Angst hat.«
    »Unser Sandro hingegen macht sich nicht die Mühe, seine Furcht zu verbergen.«
    Einige Sekunden lang herrschte Stille. »Hör mal!«, entfuhr es Monica plötzlich.
    »Was soll ich hören?«, fragte Dino verwirrt.
    »Nichts! Der Sandsturm hat aufgehört.«

    »He, stimmt. Ist mir gar nicht aufgefallen.Versuch noch einmal, die Botschaft zu erreichen. Vielleicht bleibt uns nicht viel Zeit. Möglicherweise hat der Sandsturm nur eine kurze Pause eingelegt.«
    »Hoffentlich geht sofort jemand ran«, sagte Monica, tippte die Nummer und hob das Handy ans Ohr.
    Wieder herrschte Stille.
    »Na bitte!«, freute sich Monica. »Es klingelt!«

Konstantinopel, 24. Mai 1204
    Er zuckte zusammen, als er in die Wirklichkeit zurückkehrte und in einen Abgrund des Schmerzes stürzte. In den Nebelschwaden vor seinen Augen zeichnete sich ein Gesicht ab, und Worte erklangen, die er jedoch nicht verstand. Er nahm die Tasse entgegen, die ihm von einer sanften Hand gereicht wurde, und trank eine saure, bittere Flüssigkeit, die ihm sofort Linderung verschaffte. Der Nebel lichtete sich nach und nach, und alles bekam klarere Konturen. Das Gesicht gehörte einem Mann, der ihn besorgt musterte, und seine Worte waren kein unverständliches Gemurmel mehr.
    »Herzlich willkommen bei den Lebenden, Graf Arrigo Brandanti.«
    »Wo bin ich?«
    »In meinem Landhaus. Mehr als ein Monat ist vergangen, seit Ihr verwundet worden seid«, erklärte der alte Arzt. »Euer Schildknappe hat Euch bewusstlos gefunden und hierhergebracht, vorbei an den Milizen der Kreuzfahrer, die die Stadt kontrollieren. Euer Zustand war sehr bedenklich, und ich habe befürchtet, Euch nicht retten
zu können, aber dank Gottes Hilfe seid Ihr jetzt nicht mehr in Gefahr.«
    »Der Tod wäre für mich besser gewesen«, murmelte Brandanti.
    »Das ist Unsinn.Wenn Gott Euch am Leben erhalten hat, so deshalb, weil in Seinen Plänen ein Platz für Euch vorgesehen ist.«
    »Ihr versteht nicht«, seufzte Arrigo. »Ich bin meiner Aufgabe nicht gerecht geworden – ich habe das Kreuz verloren.«
    »Ich weiß, davon habt Ihr im Fieberwahn gesprochen. Aber Ihr dürft nicht den Mut verlieren und solltet Gott dankbar sein, weil Er Euch gerettet hat und Euch damit Gelegenheit gibt, das Kreuz zurückzuholen. Und Ihr habt noch einen Grund, den Herrn zu preisen. Vor einer Woche ist ein Bote von Sandriano gekommen. Zum Glück hat er nicht versucht, in die Stadt zu gelangen, was ihn bestimmt das Leben gekostet hätte. Er ist so klug gewesen, Erkundigungen einzuholen, ohne Verdacht zu erregen, und schließlich hat er den Weg zu mir gefunden. Er hat mir ein Schreiben von Eurer Familie gegeben und wartet seitdem darauf, dass sich Euer Zustand … stabilisiert. Jetzt kann er nach Italien zurückkehren und Euren Lieben ausrichten, dass es Euch besser geht und Ihr Euch auf den Weg zu ihnen machen werdet, sobald Ihr wieder zu Kräften gekommen seid.«
    »Es freut mich sehr, das zu hören. Allerdings kommt die Heimkehr für mich erst infrage, wenn ich das Kreuz zurückgeholt habe, wie es meine Pflicht ist.«
    »Dann, fürchte ich, wird es lange dauern, bevor Ihr die Euren wiederseht. Wahrscheinlich ist das Kreuz auf
dem Weg nach Venedig, an Bord einer der Galeeren, die in den vergangenen Tagen mit der Kriegsbeute in See gestochen sind. Der Doge hat sich im Blachernen-Palast niedergelassen und im Namen der Republik Venedig das ganze Viertel mit der Basilika der Heiligen Sophie und dem Patriarchat annektiert. Es wird einen neuen Kaiser geben, natürlich von ihm ausgewählt und daher kaum mehr als eine Marionette. Dandolo mag ein
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