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Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Titel: Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
Autoren: Bill Bryson
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bestand, und wieder war ich der einzige Kunde. In keinem der Läden hatte man mich begrüßt oder sich nach meinem Befinden erkundigt. Im Mittleren Westen wäre das eine Selbstverständlichkeit. Ich trat wieder in den Nieselregen hinaus und schlenderte durch die Stadt, auf der Suche nach einem Lokal, in dem ich frühstücken konnte. Aber ich fand keines. Also stieg ich ins Auto und fuhr zum vierzig Meilen entfernten Mount Rushmore.
    Mount Rushmore liegt vor den Toren der Kleinstadt Keystone, die noch touristischer war als Deadwood. Aber zumindest hatten dort ein paar Restaurants geöffnet. Ich ging in das erstbeste und war ziemlich verblüfft, als man sofort einen freien Tisch für mich fand. Die Kellnerin reichte mir die Speisekarte und entfernte sich. Die Speisekarte umfasste zirka vierzig verschiedene Frühstücksgerichte. Ich hatte sie gerade bis Nummer 17 studiert, als die Kellnerin mit dem Bleistift in der Hand wieder an meinen Tisch trat. Ich war so hungrig, dass ich mehr oder weniger willkürlich das Frühstück Nummer 3 bestellte. »Könnte ich statt der gebratenen Kartoffelstreifen Würstchen bekommen?«, fügte ich hinzu. Sie tippte mit ihrem Bleistift auf eine Zeile der Speisekarte, der ich entnahm, dass man Sonderwünsche nicht berücksichtigen könne. So ein Mist. Dieses Hinundher war doch gerade das Lustigste am ganzen Frühstück. Kein Wunder, dass das Restaurant halb leer war. Ich wollte schon protestieren, doch
dann meinte ich zu beobachten, dass sie in ihrem Mund Speichel zu sammeln begann, und brach ab. Ich lächelte nur und sagte fröhlich »O.k., kein Problem. Danke sehr.« Hätte ich nicht das Gefühl gehabt, sie dadurch nur zu ermutigen, hätte ich ihr nachgerufen: »Und spucken Sie bitte nicht in mein Essen!«

    Nach dem Frühstück fuhr ich ein paar Meilen stadtauswärts zum Mount Rushmore. Den Mount Rushmore zu sehen, war schon immer mein Wunsch, ganz besonders, nachdem ich Cary Grant in Der unsichtbare Dritte (ein Film, der in mir das sonderbare Verlangen weckte, jemanden in einem Kornfeld aus einem niedrig fliegenden Flugzeug unter Beschuss zu nehmen) über die Nase von Thomas Jefferson klettern sah. Entzückt stellte ich fest, dass der Mount Rushmore keinen Eintritt kostete. Auf dem riesigen, stufenförmig angelegten Parkplatz stand kaum ein Auto. Ich stellte den Wagen ab und ging zum Visitors’ Centre. Dort konnte man das Denkmal hoch oben an einem benachbarten Berghang durch eine gläserne Wand betrachten. Doch es war von Nebel umhüllt. Wieder hatte ich Pech. Es war, als säße ich vor einem Dampfbad. Einmal meinte ich, Washington zu erkennen, aber ich war mir nicht sicher. Ich wartete lange, doch der Nebel verzog sich nicht. Und dann, als ich gerade aufgeben und zum Wagen gehen wollte, lichtete er sich plötzlich, und da waren sie – Washington, Jefferson, Lincoln und Teddy Roosevelt. Mit versteinerter Miene starrten sie auf die Black Hills hinaus.
    Das Denkmal wirkte kleiner, als ich erwartet hatte. Das sagt übrigens jeder. Das Visitors’ Centre liegt etwa eine Viertelmeile von ihm entfernt und tief unter ihm. Von dort betrachtet sehen die vier Köpfe bescheidener aus, als sie sind, und sie sind in der Tat gewaltig. Washingtons Kopf misst gute achtzehn Meter in der Höhe, seine Augen sind über drei Meter breit. Auf einem Schild las ich, dass die Rushmore Figuren 142 Meter groß wären, wenn sie die dazugehörigen Körper hätten.

    In einem Nebenraum veranschaulichte ein ausgezeichneter Film die Geschichte von Mount Rushmore. Er enthielt viele Angaben über die Gesteinsmengen, die bewegt werden mussten, und einen kurzen Stummfilm, der den Ablauf der Arbeiten zeigte. Zumeist waren darin lächelnde Männer zu sehen, die Dynamit an der Felswand befestigten, woraufhin eine große Explosion erfolgte. Hatte sich der Staub dann wieder gelegt, hatte sich das, was eben noch Felsen war, in Abraham Lincoln verwandelt. Es war beachtlich. Das Ganze ist eine außerordentliche Leistung, eines der großartigsten Denkmäler Amerikas und mit Sicherheit eine der bedeutendsten Skulpturen dieses Jahrhunderts.
    Die Arbeiten am Mount Rushmore dauerten von 1927 bis 1941. Kurz vor der Fertigstellung starb Gutzon Borglum, der Mann, dem Amerika dieses Denkmal verdankt. Ist das nicht tragisch? All die Jahre hat er daran gearbeitet, und dann, als man fast so weit ist, die Sektkorken knallen zu lassen und kleine Häppchen auf Zahnstocher zu spießen, klappt er zusammen und ist tot. Auf einer Pechskala von 0
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