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Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Titel: Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
Autoren: Bill Bryson
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einer Entziehungskur. Das Auto gab noch immer seltsame Klopfgeräusche von sich, und der Gedanke, hier draußen eine Panne zu haben, erfüllte mich mit Schrecken. Ich befand mich in einem Teil der Welt, in dem man Hunderte von Meilen in jede Richtung fahren kann, bevor man auf so etwas wie Zivilisation trifft oder zumindest einer Person begegnet, die keine Akkordeonmusik mag. In dem verzweifelten Versuch, die Zeit totzuschlagen, lehnte ich meine Mobil-Reiseführer gegen das Lenkrad und blätterte darin. Nicht ohne hin und wieder bedrohlich aus der Fahrspur zu geraten, addierte ich die Bevölkerungszahlen und Quadratmeilen der vier Staaten der Hochebenen: North und South Dakota, Montana und Wyoming. Insgesamt bedecken sie eine Fläche von 385 000 Quadratmeilen – ein Gebiet so groß wie Frankreich, Deutschland, die Schweiz und die Niederlande zusammen –, verfügen aber über eine Gesamtbevölkerung von nur 2,6 Millionen. Allein in Paris leben annähernd viermal so viel Menschen. Und hier noch ein paar interessante Fakten: Die Bevölkerungsdichte in Wyoming beträgt 1,9 Einwohner pro Quadratkilometer; in South Dakota liegt sie bei etwas über zwei Einwohnern pro Quadratkilometer. Demgegenüber leben in Großbritannien 236,2 Menschen auf einem Quadratkilometer. Die Zahl der Menschen, die sich zu einem x-beliebigen
Zeitpunkt in der Luft über den Vereinigten Staaten befinden (136 000), ist höher als die Bevölkerungszahlen der jeweils größten Städte jedes dieser vier Staaten zusammen. Und zum Schluss ein wirklich interessanter Sachverhalt: Eine Untersuchung des Current Health Magazine hat ans Licht gebracht, dass sechzig Prozent der Kunden von US-amerikanischen Salatbars »die Speisen berühren oder verschütten oder sich auf sonstige Weise unhygienisch verhalten«. Natürlich ist mir klar, dass das nichts mit der Bevölkerung der Staaten in den nördlichen Ebenen zu tun hat; ich dachte jedoch, dass ein kurzer Exkurs ins Nebensächliche ein geringer Preis für eine Information ist, die ein Leben verändern kann. Mein Leben hat sich seither jedenfalls verändert.
    Ich hielt vor einem Motel 6 in einer unbedeutenden Kleinstadt mit Namen Murdo, nahm ein Zimmer mit Blick auf die Interstate 90 und aß in einem großen Truck Stop auf der anderen Seite des Highways zu Abend. Vor der Tür des Restaurants parkte ein Streifenwagen der Highway Patrol. Vor der Tür jedes Restaurants parkt ein Streifenwagen der Highway Patrol. Geht man daran vorbei, hört man die gedämpfte Stimme des Polizeifunks. »Achtung, Achtung! Zero Tango Charlie! Eine Boeing 747 ist in das Kernkraftwerk am Highway 69 gestürzt. Überall rennen Leute mit brennenden Haaren herum. Haben Sie verstanden?« Aber die beiden Polizisten sitzen nichts ahnend am Tresen, essen Apfelkuchen mit Eiskrem und schäkern mit der Kellnerin. Ab und zu – vielleicht zweimal am Tag – erheben sie sich von ihren Barhockern und fahren auf den Highway hinaus, um wahllos ein paar Autofahrern einen Strafzettel zu verpassen, weil sie meinten, sie könnten den Staat mit einer Geschwindigkeit von sieben Meilen pro Stunde über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit durchqueren. Dann kehren sie an den Tresen zurück und essen noch mehr Kuchen. So sieht das Leben eines Polizisten der Highway Patrol aus.

    Am nächsten Morgen setzte ich meine Fahrt durch South Dakota fort. Es war, als würde ich über einen endlosen Bogen Schmirgelpapier fahren. Dunkle Wolken zogen tief über das Land, und im Radio brachte man eine Tornadowarnung für die Region. Ausländische Besucher flippen bei solchen Meldungen immer aus. Nach dem Ertönen einer Tornadosirene finden die Zimmermädchen der Hotels im Mittleren Westen regelmäßig Mitglieder japanischer Handelsdelegationen unter den Betten kauernd vor. Einheimische schenken diesen Warnungen keinerlei Beachtung. Hat man erst ein paar Jahre in dieser gefährdeten Region verbracht, sind Tornados zu einem Bestandteil des Lebens geworden. Außerdem liegt die Wahrscheinlichkeit, von einem Tornado erwischt zu werden, ungefähr bei eins zu einer Million.
    Ich kannte nur einen Menschen, der einem Tornado einmal sehr nahe gekommen ist. Es war mein Großvater. Er und meine Großmutter (das ist übrigens eine absolut wahre Geschichte) lagen eines Nachts schlafend in ihren Betten, als sie von einem heulenden Tosen ähnlich dem Geräusch von tausend Kettensägen geweckt wurden. Das ganze Haus wackelte. Bilder fielen von den Wänden. Im Wohnzimmer polterte eine Uhr
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