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Sträfliche Neugier

Sträfliche Neugier

Titel: Sträfliche Neugier
Autoren: Claus H. Stumpff
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heiraten, aber vorerst nur
standesamtlich. Mit der kirchlichen Trauung und einer großen Hochzeitsfeier
sollten wir lieber warten, bis dieser ganze Wahnsinn vorbei ist.«
     
    Am 21. September 1944 wurden sie im Rathaus von Burgstadt
getraut. Als Trauzeugen fungierten die alte Bertha und der Hochwürdige Herr
Pfarrer Clemens Steininger, ein hochbetagter Freund der Familie, der vor langer
Zeit den kleinen Rüdiger getauft hatte. Viele Menschen jubelten den frisch
Vermählten auf dem Marktplatz zu, denn die Barone von Hohenburg waren bei den
Bürgern von Burgstadt seit jeher sehr beliebt. Vor allem die Bauern aus dem
Umland hatten dem alten Baron Jobst sehr viel zu verdanken, hatte er ihnen doch
in der Erntezeit mit eigenen Leuten ausgeholfen, als die Bauernsöhne zum
Militärdienst eingezogen wurden.
    Das junge Paar lebte nach der Hochzeit bescheiden von den
Ersparnissen, schmiedete aber bereits Pläne für die Zeit nach Kriegsende. Dann
wurde Gerlinde schwanger, sie erwartete ihr Baby im Juni 1945. Rüdiger ahnte,
dass die letzten Kriegstage noch manches Leid über sie bringen würden. Darum
hatte er ein notariell beglaubigtes Testament abgefasst, das die Gemeinde Burgstadt
im Falle ihres gemeinsamen Todes zwar zum Alleinerben einsetzte, allerdings mit
der Auflage, das gesamte Vermögen zunächst ausschließlich für den Erhalt oder
eventuellen Wiederaufbau des Schlosses zu verwenden.
    Der Kriegslärm rückte bedrohlich näher, sodass sie die
nötigsten Habseligkeiten zusammenpackten, um ihr Haus vorübergehend zu
verlassen. Vorher suchten sie noch ein sichereres Versteck für den wertvollen
Familienschmuck. Rüdiger rückte das große Landschaftsbild im Salon zur Seite
und entnahm dem dahinter befindlichen Wandtresor die gesamten, zum Teil viele
hundert Jahre alten Preziosen, wie Ringe, Halsketten und Broschen.
Versehentlich war ihm dabei ein goldener, mit Diamanten besetzter Armreif
hinuntergefallen. Gerlinde hob ihn vorsichtig auf.
    »Das ist ja eine wunderschöne Arbeit!«, rief sie aus.
»Bestimmt ist der sehr wertvoll!«
    »Ja, ein sehr altes Erbstück.
Siehst du hier die Jahreszahl 1589? Diesen Armreif hat der englische König
Jakob I., ein Sohn der schottischen Königin Maria Stuart, seiner Ehefrau Anna
von Dänemark zum Hochzeitsgeschenk gemacht. Deren Tochter Elisabeth erbte dann
das wertvolle Schmuckstück. Sie war mit Friedrich V. von Böhmen, dem
›Winterkönig‹ verheiratet. Der Armreif ging anschließend in den Besitz seiner
Tochter Sophie über, der sogenannten ›Erbin von England‹, die wiederum den
Kurfürst Ernst-August I. von Hannover geehelicht hatte. Über diese Linie ist
dann der Armreif über die Jahrhunderte hinweg schließlich bei den Hohenburgs
gelandet. Ich kann dir später einmal mehr darüber erzählen.«
    Alle diese Wertsachen, einschließlich ihrer eigenen,
juwelenbesetzten Eheringe, verbargen sie in dem Geheimfach einer alten Kommode,
die sich in einem der Kellerräume zwischen ausrangiertem Mobiliar befand, in
dem festen Glauben, dass man hier kaum solche Kostbarkeiten vermuten würde. Das
Testament verwahrte Rüdiger noch schnell in einer Zigarrillo-Schachtel seiner
Lieblingsmarke ›En lecker Stömpke‹ und deponierte auch sie in dem
Geheimfach, denn ein besserer Ort fiel ihm bei der Hektik ihres Aufbruchs nicht
ein..
    Als der Kanonendonner immer näher rückte, flüchtete das
junge Paar in den hinter dem Schloss aufsteigenden Buchenwald und fand
vorläufigen Schutz in einer alten, am Rande eines Hochackers gelegenen
Jagdhütte. Die alte Bertha fühlte sich an diesem Tage nicht wohl und war nicht
in der Lage, ihre Herrschaft zu begleiten; ihren Leichnam fand man einige Tage
später unter den Trümmern des vollkommen zerstörten Gesindehauses.
     
    Am 8. Mai 1945 war der Krieg
vorbei. General Jodl hatte im Auftrag von Großadmiral Dönitz, dem Nachfolger
Adolf Hitlers, die Kapitulationsurkunde gegenüber den alliierten Siegermächten
unterzeichnet. Allmählich trauten sich die Menschen, die vor den
Kriegshandlungen in die Wälder geflüchtet waren, wieder in ihre Häuser zurück.
Einige Kinder, die auf der Suche nach Essbarem wie Brennnesseln, Pilzen und
Löwenzahnblättern umherstreiften, kamen auch an der Jagdhütte vorbei. Schon von
weitem sahen sie die offen stehende Tür. Als sie sich näherten, wurden sie von
wütendem Gebell erschreckt. Zwei halb verhungerte Hunde bewachten die beiden
menschlichen Körper, die mit aufgedunsenen Leibern und von Fliegenschwärmen
übersät
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