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Sträfliche Neugier

Sträfliche Neugier

Titel: Sträfliche Neugier
Autoren: Claus H. Stumpff
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ersten Mal in seinem Leben etwas wie tiefe
Traurigkeit. Er hatte das Gefühl, dass es ein Abschied für immer sein würde,
denn er war nicht mehr in der Lage gewesen, Schwester Gerlinde seine Adresse
mitzuteilen, weil der Abtransport überaus plötzlich erfolgte.
     
    Zurück in der Heimat verbrachte Rüdiger noch mehrere Wochen
in einer Spezialklinik, wo ihm eine Unterschenkelprothese angepasst wurde.
Immer wenn er eine der vielen Krankenschwestern beobachtete, musste er an
Gerlinde denken, an ihre frische und unkomplizierte Art, an ihre lachenden
Augen, an ihre schlanke Figur und ihre wohlklingende Stimme.
    Dann kam der lang ersehnte Tag der Entlassung, der
gleichzeitig zu einer großen Enttäuschung wurde. Als ihn ein Militärfahrzeug
auf Schloss Hohenburg abgesetzt hatte, hörte er zwar von fern freudiges Hundegebell.
Bella und Wotan, die beiden Boxer, hatten ihren Herrn bereits von weitem
gewittert. Es waren seine eigenen Hunde, die er als winzige Welpen von einem
befreundeten Jagdpächter geschenkt bekam und mit viel Liebe großgezogen und
abgerichtet hatte. Als ihm Bertha, die alte Haushälterin und Vertraute aus den
Kinderjahren, öffnete, sprangen die Hunde an ihm hoch, und er konnte sich ihrer
Zuneigung kaum erwehren.
    »Das ist aber eine Überraschung, Herr Baron!«, rief sie
freudig aus. »Wenn das nur noch Ihr Herr Vater hätte erleben können.«
    Rüdiger umarmte die kleine, zierliche Frau und fragte dann:
»Wieso, was ist denn mit meinem Vater, Bertha?«
    Die alte Haushälterin blickte ihn kummervoll an: »Ihr Herr
Vater hatte einen Schlaganfall und ist vor zwei Monaten verstorben. Es tut mir
so leid, Ihnen das gleich beim Empfang mitteilen zu müssen. Vermutlich hat Sie
die Todesnachricht nicht erreicht, das bedauere ich wirklich sehr.«
    Bertha machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: »Was
soll nun werden? Werden Sie das Haus übernehmen und hier bleiben? Es ist alles
so heruntergekommen! Sie werden entsetzt sein, wenn Sie festgestellt haben, was
aus Ihrem schönen Besitz wurde.«
    Für Rüdiger war das eine traurige Nachricht. Wie hatte er
sich auf das Wiedersehen mit seinem Vater gefreut! Aber es half nichts, das
Leben musste weitergehen.
     
    Die Wohnräume des Schlosses befanden sich tatsächlich in
einem erbärmlichen Zustand. Der alte Baron Jobst lebte schon seit langem nur
noch von seinen Ersparnissen, denn er konnte den landwirtschaftlichen Betrieb
alleine nicht mehr weiterführen, seit sein Sohn zum Militär eingezogen wurde.
Außer der alten Bertha, die ein kleines Zimmer in dem Gesindehaus bewohnte, war
kein weiteres Personal mehr vorhanden. Das Gesindehaus lag in einiger Entfernung
vom Schlosstrakt und diente früher als Pferdestall, später als Fahrzeugremise.
Unter deren Dach standen noch zwei alte, jetzt verstaubte und angerostete
Kutschen, die kurz vor Kriegsbeginn durch einen PKW des Fabrikates Daimler
ersetzt worden waren und jetzt nur noch ein nutzloses Dasein fristeten. Nach
Anschaffung eines Lanz-Bulldog-Traktors benötigte man auch keine Zugpferde
mehr. Darum hatte der alte Baron den über dem Stallkomplex befindlichen
Heuboden zu Wohnungen für die Bediensteten ausbauen lassen. Der Platz für den
Daimler war jetzt leer, denn das herrschaftliche Auto wurde noch kurz vor
Kriegsende durch die deutsche Wehrmacht beschlagnahmt.
    Auch das Guts-Vorwerk Weidenhof , der eigentliche
landwirtschaftliche Betrieb des Barons, war total heruntergewirtschaftet. Die
jungen Landarbeiter waren im Fronteinsatz, der Gutsverwalter war bereits im
Frankreichfeldzug gefallen und die noch verbliebenen alten Arbeiterehepaare
lebten schlecht und recht vom Ertrag der ihnen zum persönlichen Nutzen zugewiesenen
Äcker und etwas Kleinvieh. Als auch Rüdiger gegen seinen und seines Vaters
Protest zum Wehrdienst eingezogen wurde, war der alte Baron derart erbost, dass
er beschloss, die Landwirtschaft so lange ruhen zu lassen, bis sein Sohn wieder
zu Hause wäre. Da den Arbeitern niemand mehr die Arbeit zuteilte und sie auch
keinen Lohn mehr erhielten, kümmerten sie sich auch um nichts mehr. Die Felder
wurden bald von meterhohem Unkraut überwuchert. Die Viehställe standen leer,
denn Baron Jobst hatte alle Pferde, Rinder, Schafe und Schweine verkauft, was
in dieser Zeit kein Problem war, denn es herrschte im ganzen Lande großer
Mangel an Lebensmitteln, vor allem an Fleisch. Jedenfalls machte alles einen
derart verwahrlosten Eindruck, dass Rüdiger am Liebsten umgekehrt wäre und sich
nach einer anderen
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