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Sträfliche Neugier

Sträfliche Neugier

Titel: Sträfliche Neugier
Autoren: Claus H. Stumpff
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Aufgabe umgesehen hätte. Und obwohl er sich dem Erbe seiner
Väter verpflichtet fühlte, überlegte er nun ernsthaft, ob er den Betrieb
überhaupt noch weiterführen sollte.
    Eine erste Inspektion der vielen Räume des herrschaftlichen
Hauses ergab, dass keine Wertsachen fehlten. Vor allem der kostbare
Familienschmuck in dem Tresor hinter dem großen Gemälde im Salon war noch
vollzählig vorhanden. Einen Teil davon würde er nach Kriegsende wohl verkaufen
müssen, falls er den Betrieb wieder zum Laufen bringen sollte, denn dafür würde
er viel Bargeld benötigen. Auch die antiken Möbel und Teppiche waren allem
Anschein nach noch vollzählig, aber alles war von einer dicken Staubschicht und
Spinnweben überzogen. Wie sollte er nur, ohne Personal und ohne finanzielle
Rücklage, den landwirtschaftlichen Betrieb wieder aufnehmen? ›Nein‹ ,
dachte er, ›jetzt werde ich erst mal das Ende dieses idiotischen Krieges
mitsamt dem verbrecherischen Hitlerregime abwarten, lange kann es ja nicht mehr
dauern, denn die Amerikaner sind bereits in der Normandie gelandet, und von
Osten her rückt die Rote Armee immer näher auf die Reichsgrenzen zu. So Gott
will: Wenn der Krieg vorbei ist, will ich einen neuen Anfang wagen, jetzt ist
dafür aber noch nicht die Zeit gekommen. Vielleicht kann ich später das Schloss
zu einem Hotel umfunktionieren, denn Platz für ein solches Projekt ist
schließlich ausreichend vorhanden. Oder die riesigen Brachlandflächen zu
Weideland machen und Pferde oder Schafe züchten. Bestimmt gibt es noch viele
andere Möglichkeiten für einen Neubeginn. Bis dahin kann ich mit dem vom Vater
hinterlassenen kleinen Vermögen zurecht kommen und sogar die treue Seele Bertha
bezahlen. Und wenn es nicht reichen sollte, verkaufe ich den Familienschmuck.‹
     
    An einem heißen Julitag schlug die große Glocke an der
Eingangstür zur Halle an. Bertha eilte aus der Küche herbei und öffnete. Dann
lief sie zurück und rief:
    »Herr Baron, da ist eine Frau,
die Sie sprechen möchte. Den Namen wollte sie mir nicht verraten.«
    ›Wer mag das wohl sein?‹ , dachte Rüdiger. »Gut, führ die Dame herein, und sag ihr
aber gleich, dass ich nicht viel Zeit habe!«
    Die Frau trug einen Rucksack auf dem schmalen Rücken über
dem abgewetzten Mantel. Die dunkelblonden Haare hingen ihr in Strähnen ins
Gesicht, und die viel zu großen, plumpen Schuhe waren mit Bindfäden
zugeschnürt. Sie machte einen abgekämpften Eindruck, ihre Wangen waren
eingefallen, sie wirkte unterernährt und krank. Rüdiger ging langsam auf sie zu
und wollte sie nach ihrem Begehr fragen. Da sah er ihre wunderschönen
rehbraunen Augen, die zwar müde wirkten, aber nichts von ihrem früheren Glanz
verloren hatten. Er wurde verlegen, und Röte überzog sein Gesicht.
    »Schwester Gerlinde, sind Sie es?«, fragte er. »Mein Gott,
so eine Überraschung! Bitte kommen Sie herein!«
    Etwas zögernd trat Gerlinde ein und sagte:
    »Entschuldigen Sie, Herr Oberleutnant, dass ich so in Ihr
Haus hineinschneie. Aber ich weiß einfach nicht wohin, da habe ich mich an Sie
erinnert. Ob ich wohl ein paar Tage bei Ihnen bleiben darf?«
    Und dann berichtete sie über ihre Irrfahrten der letzten
Tage. Das Feldlazarett war aufgelöst worden, die deutschen Truppen befanden
sich überall auf dem Rückzug und die Verwundeten hatte man auf Krankenhäuser im
Grenzgebiet verteilt. Daraufhin schlug sie sich zu ihren Eltern in Hannover
durch. Bereits in der ersten Nacht wurde ihr Haus von einer Fliegerbombe
getroffen und nur sie allein war, wie durch ein Wunder, mit einigen
Hautabschürfungen, aber sonst unversehrt aus den Trümmern hinausgekrochen. Ihre
Eltern konnten nur noch tot aus dem Schuttberg geborgen werden.
    »Die ganze Stadt war ein einziger Trümmerhaufen. Auch meine
beste Freundin ist in dieser schrecklichen Nacht ums Leben gekommen. Andere
Freundinnen von mir wurden ebenso wie ich obdachlos. Es war furchtbar. Nach der
Beerdigung meiner Eltern dachte ich, nur weg von hier, aber wohin? Da fiel mir
ein, dass ich im Feldlazarett einen Oberleutnant Rüdiger von Hohenburg gepflegt
hatte. Wir waren uns sympathisch, jedenfalls hatte ich das Gefühl. Wissen Sie
noch, wie Sie zu mir gesagt haben? ›Wenn der ganze Schlamassel vorbei ist,
dann kommen Sie mal vorbei‹. AlsSie dann so plötzlich
abtransportiert wurden, war ich zunächst ziemlich traurig, denn ich hatte ja in
der Eile vergessen, mir Ihre Adresse geben zu lassen. Doch dann fiel mir ein,
dass im Lazarett sicher
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