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Borderlands

Borderlands

Titel: Borderlands
Autoren: B McGilloway
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    Samstag,
21. Dezember 2002
     
    Irgendwie passte es, dass Angela Cashells
letzte Ruhestätte quer über der Grenze lag. Vermutlich konnten weder
diejenigen, die ihre Leiche dort zurückgelassen hatten, und schon gar nicht
diejenigen, die 1920 die Grenze zwischen dem Norden und dem Süden Irlands
gezogen hatten, ermessen, wie skurril es war, dass ihr Körper halb in dem einen
und halb in dem anderen Land lag, in den borderlands , wie das Grenzgebiet genannt wird.
    Die Besonderheiten der inneririschen Grenze
sind berühmt. Achtzig Jahre zuvor hatten Beamte, die die Gegend nur als Karte
kannten, diese Grenze mitten durch Felder, Bauernhöfe und Flüsse
gezogen. Nun müssen die Menschen mit den Konsequenzen leben. Ihre
Rundfunkgebühren zahlen manche im Norden – in Nordirland –, während der Strom,
mit dem sie ihre Fernseher betreiben, aus dem Süden, also der Republik Irland
stammt.
    Wenn sich ein Verbrechen in einem Gebiet
ereignet, das nicht eindeutig in die eine oder die andere Zuständigkeit fällt,
arbeiten An Garda Siochana, die nationale Polizeibehörde der Republik Irland,
und der Police Service of Northern Ireland ( PSNI )
zusammen und unterstützen sich nach Kräften mit Rat und Tat. Wer die
Ermittlungen leitet, ergibt sich entweder durch den Fundort der Leiche oder aus
der Staatsangehörigkeit des Opfers.
    Folglich
standen ich und meine Kollegen von An Garda nun unseren nordirischen Pendants
gegenüber und sahen uns durch den starken, schneeschwangeren Wind an, der vom
Fluss heraufwehte. Der Himmel über uns mit seiner ersterbenden Sonne war voll
violetter und gelber Blutergüsse und bot keinen Anlass zu Hoffnung.
    Wir
schüttelten einander die Hände, begrüßten uns förmlich und gingen dorthin, wo
das Mädchen der Länge nach auf dem Bauch lag. Nur eine Hand wies zum Himmel.
Der Leichenbeschauer, ein Arzt aus dem Städtchen namens John Mulrooney, kniete
neben der entblößten Leiche des Mädchens und tastete ihre Muskeln auf Anzeichen
von Totenstarre ab. Ihr Kopf ruhte neben seinen Knien; ihre Haare waren an den
Spitzen blond, in der Nähe der Kopfhaut jedoch honigfarben, ihre Haut war weiß
und sauber bis auf schmale Kratzer auf Rücken und Beinen, die von den
Brombeersträuchern herrührten, durch die sie gestürzt war. Ein Mitarbeiter der
Spurensicherung beugte sich zu ihr hinab, um die Verletzungen, auf die der
Leichenbeschauer wies, zu untersuchen und zu fotografieren.
    Wir sahen zu,
wie drei, vier Gardai – Polizisten von An Garda – halfen, die Leiche
umzudrehen. Ich trat zurück und starrte über das Wasser nach Norden, wo die
arthritischen Glieder der Bäume sich den Schneewolken entgegenreckten und die
schwarzen Zweige im Winterwind knarrten.
    »Kennen Sie
sie, Sir?«, fragte einer der Nordiren, und ich drehte mich wieder zu dem
Mädchen um, dessen Gesicht nun zu sehen war. Vorübergehend verschwamm mir alles
vor den Augen, als eine Brise die Oberfläche des Flusses kräuselte. Dann ging
es wieder. Ich machte ein paar Schritte und kniete mich neben die Leiche. Ich
widerstand dem Drang, die Jacke auszuziehen und sie damit zuzudecken,
wenigstens bis die Spurensicherung mit der Arbeit fertig wäre.
    »Das ist
Johnny Cashells Mädchen«, sagte ein uniformierter Garda, »aus Clipton Place.«
    Ich nickte
zustimmend. »Er hat recht«, wandte ich mich an den nordirischen Inspector,
einen Mann namens Jim Hendry, der den gleichen Rang, jedoch deutlich mehr
Erfahrung als ich hatte. »Ich fürchte, sie gehört uns.«
    Er nickte,
ohne mich anzusehen. Hendry war mindestens einen Kopf größer als ich, deutlich
über einen Meter achtzig, hatte einen drahtigen Körperbau und schmutzig blonde
Haare. Er trug einen dünnen rotblonden Schnurrbart, an dem er so wie jetzt
zupfte, wenn er unter Druck stand. »Armes Mädchen«, sagte er.
    Sie hatte ein
frisches junges Gesicht und war höchstens fünfzehn oder sechzehn. Ihr Make-up
erinnerte mich an meine eigene Tochter Penny, wenn sie mit den Kosmetika meiner
Frau »erwachsen« spielte. Der blaue Lidschatten war zu dick aufgetragen, er
stach von ihren geröteten Augen ab, in denen die Gefäße in den letzten Sekunden
ihres Lebens geplatzt waren. Das ganze Gesicht war bläulich angelaufen. Ihr Mund
stand halb offen, zu einer schmerzverzerrten Grimasse erstarrt; der leuchtend
rote Lippenstift, den sie sicher sorgfältig aufgetragen hatte, war streifig
über das ganze Gesicht verschmiert.
    Ihre kleinen
Brüste wiesen violette Blutergüsse in der Form und Größe
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