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Sträfliche Neugier

Sträfliche Neugier

Titel: Sträfliche Neugier
Autoren: Claus H. Stumpff
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auf den ersten Blick, als er nach der Amputation aus der
Narkose erwachte und über sich das von dunkelblonden Haaren umrahmte Gesicht
der hübschen Pflegerin sah. Sie erschien ihm wie ein Engel, als sie ihn mit
jenen einfühlsamen Worten tröstete, die er nie vergessen würde: »Es wird schon
wieder gut, Herr Oberleutnant«, hatte sie gesagt und ihm dabei liebevoll über
seine heiße Stirn gestrichen. »Sie werden es bestimmt lernen, wie so viele
andere in diesem Lazarett, mit einer Beinprothese zu leben. Die Schmerzen
werden auch bald vergehen, und außerdem haben Sie doch noch ein langes Leben
vor sich, so jung wie sie sind. Wenigstens ist der Krieg für Sie jetzt vorbei,
wer weiß, was Ihnen da noch erspart bleibt.«
    Trotzdem litt Rüdiger in den ersten Wochen nicht nur an
Schmerzen, sondern auch an schweren Depressionen. Doch dank der Fürsorge von
Schwester Gerlinde besserte sich sein Zustand zusehends, und jeden Tag gab es
Gelegenheit für einen Gedankenaustausch.
    »Was haben Sie denn vorher gemacht, ich meine bevor Sie
hier im Lazarett zum Einsatz kamen?«, fragte Rüdiger.
    »Ich studierte an der Technischen
Hochschule Hannover Medizin. Doch dann haben sie uns Studentinnen weggeholt zum
Einsatz in den Feldlazaretten. Die meisten von uns haben ja bereits ein
klinisches Semester absolviert, und so betrachte ich meine Arbeit hier als eine
Art erweitertes Studium, nur eben unter sehr viel schwierigeren Bedingungen.
Und was haben Sie gemacht, bevor man Sie an die Front schickte?«
    »Ich bin Schlossherr«, gab Rüdiger mit einem verschmitzten
Lächeln zur Antwort.
    »Schlosser?«, fragte Gerlinde ungläubig nach. »Das soll
wohl ein Witz sein.« Sie betrachtete sein feines Gesicht und seine
wohlgeformten Hände. Nein, wie ein Handwerker wirkte er nicht, da kannte sie
sich aus, denn ihr Vater besaß als Schreinermeister einen eigenen Betrieb und
sie wusste, welche Spuren schwere körperliche Arbeit an Gesicht und Händen
hinterließ.
    »Ich sagte Schloss-Herr! Verzeihen Sie mir den
kleinen Scherz, das war nur eine Wortspielerei, die mir immer wieder Spaß
macht. Doch nun im Ernst: Ich bin studierter Agronom, und per Erbe wird mir
demnächst wohl ein Schloss mit einem nicht unwesentlichen Grundbesitz in den
Schoß fallen, denn mein Vater, Jobst Freiherr von Hohenburg, ist ein alter und
kranker Mann und wird es wohl nicht mehr lange machen. Meine Mutter verstarb
bereits kurz nach meiner Geburt. Das ist auch der Grund dafür, dass ich keine
Geschwister habe und nun der einzige Erbe bin. Allerdings gibt es noch einige
Cousins mütterlicherseits, zu denen ich aber nur wenig Kontakt pflege. Die
beiden Brüder meines Vaters sind im Ersten Weltkrieg als blutjunge Offiziere an
der Westfront gefallen, es gibt also auch auf dieser Seite keine Nachkommen. So
blieb mein Vater als einziger seiner Generation übrig. Wir haben uns immer sehr
gut verstanden, er war ein liebevoller Vater und versuchte stets, mir die
Mutter zu ersetzen. Wie in unserer Familie seit Generationen üblich, sind die
Herren von Schloss Hohenburg studierte Landwirte. So hatte auch ich die
Hochschule für Agrarwirtschaft absolviert und gerade damit begonnen, die von
meinem alten Herrn krankheitshalber vernachlässigte Landwirtschaft wieder auf
Vordermann zu bringen, als ich zur Wehrmacht eingezogen wurde. Da ich von einem
alten Adelsgeschlecht abstamme, musste ich die übliche Rekrutenschinderei beim
Militär nur kurze Zeit durchmachen und durfte dann die Reserveoffizierslaufbahn
einschlagen. Das mit dem Oberleutnant ging dann auch ganz rasch, nachdem meine
Kompanie einen feindlichen Panzer abgeschossen hatte. Und was dann kam, nun,
Sie sehen ja selber das Ergebnis.«
     
    Vierzehn Tage blieb Rüdiger noch im Feldlazarett. Er genoss
jeden Moment der Betreuung durch Schwester Gerlinde, und so oft es ihre Arbeit
zuließ, kam sie zu ihm und sie hatten sich immer viel zu erzählen. Schließlich
war der Tag des Abschieds gekommen.
    »Besuchen Sie mich doch mal auf Schloss Hohenburg, wenn der
ganze Schlamassel vorbei ist«, sagte Rüdiger, bevor er in einen Transportwagen
des Deutschen Roten Kreuzes verfrachtet wurde. »Es wird hoffentlich nicht mehr
lange dauern und ich würde mich über ein Wiedersehen sehr freuen!«
    Gerlinde blieb vor dem großen Sanitätszelt stehen und
winkte dem Fahrzeug noch lange hinter her. Rüdiger sah ihre Gestalt in der
weißen Schwesterntracht immer kleiner werden, bis sie hinter einer Kurve ganz
verschwand. Da empfand er zum
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