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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher
Autoren: Astrid Paprotta
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in beide Hände, eine Heckler & Koch, vom Kollegen Stocker Henkel und Topf genannt, warum fiel ihr das jetzt ein?
    »Dorian, sieh mich an. Wirf die Waffe weg.«
    Sie sah seine Hand, die nicht zitterte, und begriff nicht, warum er so ruhig dastand, denn sie hörte doch seinen schnellen, heftigen Atem.
    »Laß die Waffe fallen.«
    Laß sie leben, laß sie leben.
    Das war seine Dienstwaffe da, eine Sig-Sauer P6, da war der erste Schuß nicht vorgespannt und deshalb schwerer abzugeben, was die einzige Sicherung war, der nicht vorgespannte erste Schuß. Sie mußte sie ihm aus der Hand schlagen, was nur ein paar Schritte wären, zwei Schritte vielleicht, ein kurzer Sprung, doch lag die halbe Welt dazwischen, denn vor ihr war sein linker Arm, und er hielt die Waffe mit der Rechten. Zu weit weg zum Überrumpeln, für einen Ausweg keine Zeit, keine Luft zum Atmen, eine Hand, eine Pistole, ein Mund.
    »Laß sie los. Laß sie los, oder ich schieße. Dorian, sieh mich an, LASS SIE LOS.«
    Sie sah seinen Finger am Abzug und glaubte eine winzige Bewegung zu sehen, ein Zucken, nicht wahrnehmbar – nein – doch – und von dem Schuß, den sie dann hörte, meinte sie, daß es seiner war, weil Dorian Kammer auf der anderen Seite der Erde stand, unerreichbar für die Menschen von hier – geh weg da, nicht schießen.
    Erst als sie den Rückstoß wie einen Schlag gegen den Ellenbogen spürte, begriff sie, daß er aus der eigenen Waffe kam, daß sie selber es war, die schoß. Auf die Beine, immer auf die Beine, aber sie konnte nichts sehen, weil das ein Karussell hier war, das niemand mehr anhielt. Immer auf die Beine, doch sie sah nur seine Waffe, darum schoß sie erneut, bis er weg war, endlich weg da, weg von ihr.
    Sie sah ihn nicht fallen.
    Sie hörte ein Murmeln, ein Gurgeln, dann stand er nicht mehr da, und die Welt vergrößerte sich ein wenig, ließ Platz für eine Wand, auf der ein Blutfleck war.
    Katja? Wo bist du, was hat er gemacht? Sie wollte hin zu ihr, spürte ihre Schultern nach vorne kippen und sah ihn da liegen. Er sah sie immer noch nicht an. Dorian lag auf dem Boden, auf dem Rücken, ein Bein lag krumm, das andere gerade. Mußte sich ausruhen. Guckte zur Decke hoch und bewegte sich nicht. Blutete, blutete so stark. Sie ließ die Waffe fallen.
    Ein schwarzes Ding auf dem Boden, zwei Meter von Dorian entfernt. Sie wußte nicht, was sie tun sollte, sah nur hin und konnte nichts hören, kein Stöhnen und keinen Schrei, es war so still, als sei nichts geschehen. Dann hob sie den Kopf und sah Katjas graue Augen, die über sie hinwegblickten, irgendwohin in die Ferne. Ruhig stand sie da, gerade und aufrecht, und sie bewegte nur ein wenig den Kopf, so als suche sie ihn; »Dori«, flüsterte sie, »du mußt atmen – atmen.« Dann kniete sie neben ihm nieder und berührte sein Haar.
    Es war der jüngere der Kollegen von draußen, der den Raum als erster erreichte, die gleiche P6 im Anschlag, mit der er herumfuchtelte und sein Ziel nicht fand.
    »Ich hab geschossen«, sagte Ina. Sie nahm ihre Waffe vom Boden und überreichte sie ihm, wie es Vorschrift war. Ein Kollege bekam die Waffe; die schmutzige Waffe hieß sie dann, der Dreck, das elende Ding. Jetzt hatte er zwei Waffen. Dorians P6 lag neben seinem abgewinkelten Bein, da rannte er hin und nahm sie hoch – drei Waffen nun, die er gegen den Bauch drückte wie eine Handvoll Äpfel. Dann blieb er stehen und starrte sie an, und Ina glaubte, daß jetzt alles getan war und im Leben nichts mehr übrigblieb.
    Sie hatte noch nie einen Menschen sterben sehen. Sie sah sie als Tote, was ganz anders war. Konnte es so lautlos gehen, sackte man nur zusammen ohne Schrei?
    »Notarzt«, sagte sie und lehnte sich gegen die Wand. »Und Leitstelle. K 15, Mordkommission.«
    »NOTARZT«, schrie es von hinten, das war der andere. »LEITSTELLE, ich ruf an. Andi, du sperrst unten ab. ABSPERRUNG, HÖRST DU?«
    Nein, er hörte nicht. Er starrte auf seinen Kollegen am Boden und auf die Frau, die über ihm kniete. Katja legte eine Hand auf Dorians Stirn und strich ihm durchs Haar. Sie berührte den blutgetränkten Stoff seiner Uniform.
    Andi – hieß er so? – holte einmal kurz und heftig Luft, was wie Schluckauf klang, da hob sie den Kopf und sah ihn an.
    »Er muß atmen«, sagte sie, »damals wollte er auch nicht. Haben sie ihm richtig was draufgeben müssen bei seiner Geburt. Er wollte nicht, wollte einfach nicht atmen.«
    Andi schien zu frieren. Ina sah, wie sein Brustkorb sich hob und senkte,
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