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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher
Autoren: Astrid Paprotta
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töten.«
    »Haben Sie ihn gewarnt?«
    »Ja.«
    »Was haben Sie gesagt?«
    »Daß ich schießen werde.« Sie legte die Hände flach auf den Tisch und das Holz verwandelte sich in Eis. »Und das hab ich dann getan, ich hab ihn getötet.«
    »Wohin haben Sie gezielt?«
    »Auf die Beine?« Sie erinnerte sich nicht.
    »Nein«, sagte Stocker. »Kaum.«
    »Ich wollte auf die Beine –«
    »Das haben Sie aber nicht.« Er ballte die Finger und streckte sie wieder, tastete auf dem Tisch herum und fand einen Bierdeckel, den er zusammenknüllte wie Papier. »Wie stand er?« fragte er dann. »Erklären Sie mir das.«
    »Seitlich. Er stand – mit der Seite, mit der linken Seite zu mir. Rechts hatte er die Waffe. Er wollte sie exekutieren, hat sie runtergedrückt, sie konnte nicht weg. Da war seine Waffe – war in ihrem Mund.«
    »Warum waren Sie alleine?«
    Sie sah ihn an, verstand seine Frage nicht.
    »Sie sind alleine hierhergekommen, warum?«
    »Ich wollte mit ihr reden. Ich wußte doch jetzt, wer sie ist.«
    »Das beantwortet meine Frage nicht.« Stocker trommelte mit den Fingern auf den Tisch, aber nicht so, wie sie das gemacht hatte, Katja, Billa, ihre Hände auf dem Tresen, leicht und achtlos, als spiele sie eine Tonleiter im Schlaf.
    »Es wird eine Untersuchung geben«, sagte er.
    »Ja.«
    »Vermutlich auch vor Gericht.«
    »Ja« Als die Tür von außen geöffnet wurde, sah sie den Sarg und dann die Träger. Das war richtig, daß sie mit einem Sarg kamen und nicht mit einer Bahre, über die eine Plane gezerrt wurde oder manchmal eine Decke. »Ich hab ihn getötet«, sagte sie erneut und wollte doch andere Worte finden, Worte, die es besser trafen, weil sie glaubte, daß Stocker das Ausmaß nicht begriff, denn Dorian war nicht mehr in der Welt, und sie hatte ihn da herausgestoßen. Jetzt trugen sie den Sarg in Katjas kleinen, dunklen Raum.
    Sie blieb an diesem Kneipentisch sitzen, weil sie das Gefühl hatte, man müsse sie stoßen und zerren, damit sie sich wieder bewegen konnte. Draußen war alles abgesperrt, und einer der Beamten kam herein und sagte: »Die Presse.«
    »Soll mich am Arsch lecken«, sagte Stocker, was eigentlich Kissels Worte waren, denn Stocker war nicht der Typ dafür. Wo war Kissel denn, war er bei ihr, ließ sie das zu?
    »Wollen Sie was trinken?« fragte Stocker, eine Frage, die ihr so absurd erschien, daß sie glaubte, sie hätte sich verhört. Etwas trinken, weil sie hier in einer Kneipe saßen? Aber im Grunde war das richtig, man trank in einer Kneipe, man tötete da nicht. Sie schüttelte den Kopf.
    Sprach er weiter? Immer war seine Stimme so leise, egal, worüber er gerade sprach, über den Tod, einen Film oder über Tim, seinen kleinen Sohn. Nein, stimmte nicht, Till hieß der, da hatte sie sich noch blamiert am Anfang, hatte gesagt, das ist doch ein Vogelfutter. Trill, hatte er sie leise korrigiert, verwechseln Sie da nichts, Trill ist das Futter, Till ist mein Sohn.
    Katja hatte Vögel zu Hause, hatte das die Freundin nicht erzählt? Kleine gelbe Piepmätze, die den Kindern auf den Schultern saßen.
    »Bleiben Sie sitzen«, sagte er und sie begriff nicht, warum er das sagte, denn sie hatte sich doch überhaupt nicht bewegt. Da war der Sarg wieder, kam er heraus, vorne ein Träger und hinten. Sie gingen jetzt, als wäre er schwer, weil er drinlag, wirklich, als hätten sie ihn da hereingelegt. Waren das dieselben Träger, die zu Robin gekommen waren? Ja, der Jüngere hatte auch Robin getragen, den sah sie dauernd, ein Typ mit Zopf. Trug alle Leichen der Stadt und brachte sie in stille, kalte Räume. Jan hieß der, und in den letzten Tagen hatte sie sich manchmal vorstellen können, ihren Sohn so zu nennen, falls Tom recht behielt und sie doch einen wollte.
    Dorian ist nicht da drin.
    Sie wollte sich überzeugen, wollte sie stoppen und diesen Sargdeckel öffnen, doch kam sie nicht richtig hoch – »Bleiben Sie sitzen«, sagte Stocker, und sie fiel fast über den Tisch und legte den Kopf auf die Arme.
    Stockers Hand wie ein Fremdkörper vor ihren Augen, da lag sie vor ihr auf dem Tisch, die Hand mit dem schmalen Ehering aus Platin, den sie immer so schick fand, so edel. Sie wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war, hatte nur diese Hand gesehen und diesen Ring. Doch als sie langsam den Kopf hob, begegnete sie wieder Katjas grauen Augen. Sie stand vor ihr und sah auf sie hinab, einen Moment nur, bevor sie in die Ferne blickte, in ein anderes Land. Kissel stand weiter weg am Tresen wie einer,
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