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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher
Autoren: Astrid Paprotta
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Da war ihr Freund gestorben, Christian. »Daß ein Mensch sich so verändern kann, haben Sie das gewußt?« Kissel, der die Wirtin fragte: »Sind die Frikadellen so vielversprechend wie Sie?« Nein, im Grunde hatte er keinen Witz gemacht, auch wenn sie das damals komisch fand, weil sie sich kaum vorstellen konnte, daß diese Frau, diese Frau ihm gefiel – der grüblerische Blick, mit dem er ihr hinterherstarrte, als spüre er einer fernen, vagen Erinnerung nach. Vielleicht guckten Männer Frauen anders an, ja, ganz sicher sogar, er hatte die Videos doch auch gesehen, die Frau an der Wand und die Mutter, die ihren Jungs Geschichten erzählte von Trottellummen, Sterntauchern und Schwalben. Er hatte sie unnötig betatscht, als er sie befragte, und eine blöde, hilflose Konversation versucht: »Die Frikadellen waren gut, auch der Ketchup.«
    Hatte sie genau hingesehen? Es war etwas wie Befangenheit, das sie Billa Hufnagel gegenüber empfunden hatte und über das sie nie weiter nachdenken wollte, weil es sie störte, so ein blödes Gefühl. Weißt du was? Mit dieser Wirtin sind wir nicht klargekommen. Keinen Schimmer, wie ich mit ihr reden sollte, und einmal, weißt du, hab ich sogar von ihr geträumt, von ihren Augen, in denen etwas schlummerte, was vielleicht einmal schön gewesen war.
    Wie konnte das passieren, warum hast du dich versteckt in dir selbst?
    Die Fahrt zu ihr – das Gefühl, über den Asphalt zu kriechen und nur an den erschreckten Augen eines über die Straße hetzenden Fußgängers zu merken, daß es nicht so war. Die linke Hand, die das Steuer umklammerte, die rechte, deren Finger auf die Gangschaltung trommelten, im Kopf diese Zeilen aus dem Booklet der CD: Nicht du bist vorbereitet und nicht ich, einander zu begegnen. Als sie mit kreischenden Bremsen vor dem Taubenschlag hielt, stand der Wagen der Kollegen da. Dorians Bewacher waren zwei junge Kerle, denen vor Langeweile die Augen tränten. Einer schob den Kopf aus dem Fenster und sagte: »Nix los. Er ist da drin, macht Mittag oder spätes Frühstück, wer weiß.«
    »Ja«, sagte sie und mußte sekundenlang überlegen, warum sie eigentlich warteten, wer sie waren und welcher Tag heute war. Möglich, daß er noch etwas sagte und der andere vielleicht auch, doch rannte sie auf die Eingangstür zu und blieb nur zwei Sekunden lang stehen, als ihre Hand die Klinke berührte.
    Hallo Katja.
    Der Raum war leer. Eine trostlose Kneipe. Kein Mensch hinterm Tresen, niemand davor. Sie war sicher gewesen, ihr direkt in die Augen zu sehen und erneut diesem Blick zu begegnen, der sie auf Distanz hielt, weil er halb gleichgültig schien und halb genervt.
    Komm her, versteck dich nicht.
    Sie drehte sich einmal im Kreis. Leere Hocker, unbesetzte Tische, ein Stuhl, der auf dem Boden lag, als sei jemand aufgesprungen wie ein Verrückter – Dorian? Er sollte doch hier drin sein, hatten die draußen gesagt.
    Undeutliche Geräusche, ein stetes Tropfen hinterm Tresen, als ob es hereinregnete, ein Summen aus der Küche, der Kühlschrank vielleicht. Dann eine Stimme, ein Schrei von irgendwoher.
    Dorian? Als hätte er Schmerzen.
    Ein kleiner Gang führte am Tresen vorbei, dunkel und eng. Einen Moment lang konnte sie sich nicht orientieren, bis sie erneut diesen Schrei hörte, der nach Verzweiflung klang und Raserei, seine kippende Stimme, die schrie: »DU VERDAMMTES –«
    Dann diese Stille.
    Sie rannte los, sah die offene Tür am Ende des Ganges, sah Dorian Kammers ausgestreckten Arm und seine Hand, die eine Pistole hielt. Seine Mutter war hier, doch schien sie ohne Angst zu sein. Ein, zwei Sekunden lang sah Ina ihre Augen und glaubte diesen alten Film zu sehen, in dem ein Typ, so ein Revolutionär, zum Galgen geführt wurde, den er so ruhig betrachtete wie ein Tourist eine Küche oder ein schönes Haus. Der wollte nicht kämpfen, der erwartete die andere Welt – genauso sah sie aus, und wie ein Film war das hier auch, das Ende, eine Exekution. Auf Knien lag sie vor ihm, gegen die Wand und zu Boden gedrückt, bewegungslos und ohne Chance. Dorian hatte ihr den Lauf seiner Pistole in den Mund geschoben.
    »Dorian.« Ina zog ihre eigene Waffe. Sie wußte nicht, wie laut sie sprach, weil sie kaum spüren konnte, ob sie atmete. »Laß sie los.«
    Aber er war nicht mehr hier. Sie wußte nicht, wo er war, hörte nur seinen Atem, ein Schnaufen, als sei er gerannt, und die Welt schrumpfte zu einem Ausschnitt zusammen, zu einer Hand, einer Pistole und einem Mund. Ina nahm ihre Waffe
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