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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher
Autoren: Astrid Paprotta
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nicht.

[ 22 ]
    Natürlich ein Stau, was denn sonst? Es regnete ja. Diese beschissene Stadt, in der jeder Regentropfen die Wagen zu einer Schlange zusammenschob, diese ewigen Baustellen, die auch nichts verschönerten, diese Amateure, die durch harmlose Pfützen krochen wie verendende Maultiere durch die Wüste – Ina dachte daran, das Blaulicht auf das Wagendach zu schieben, doch so weit war die Fahrt zum Taubenschlag nicht, außerdem galten Regeln dafür. So weit kriegst du mich nicht, daß ich alle Regeln breche, da muß man der Typ für sein, okay?
    Frau Hufnagel. Großer Gott.
    Klar war ich gern der Typ für was anderes, aber kommt man denn aus seiner Haut? Bist du aus deiner Haut gekommen mit deinem anderen Namen, der noch nicht einmal ein falscher Name ist, nein, im Gegenteil, der so korrekt ist wie ein Name nur korrekt sein kann? Hast gewußt, daß du uns damit verarschen kannst, richtig? Sie schlug mit den Fingern aufs Steuer und hörte den eigenen Atem wie ein Zischen. Zähfließender Verkehr. Wann war ein Verkehr zähfließend, wann war er stockend? Hatte sie doch alles einmal gewußt. Zu Beginn ihrer Polizeilaufbahn mußte sie eine Woche in einer Verkehrsleitstelle verbringen und sich mit diesen Formulierungen herumschlagen, die den Radiostationen durchzugeben waren – bei Bad Rappenau liegengebliebener LKW – bitte machen Sie eine Gasse für die Räumfahrzeuge frei – auf der Gegenfahrbahn Stau durch Gaffer, nein, durfte man nie sagen, mußte ja höflich sein zu dem Pack, Schaulustige also. Falschfahrer auf der A 6, bitte überholen Sie nicht, Rinder auf der Fahrbahn, weiß Gott, ganzer Stall davon.
    Sie sah auf ihre Finger, wie sie auf das Steuer schlugen, und dann, wie durch einen Schleier, sah sie die Wirtin des Taubenschlag, deren Finger auf den Tresen pochten – nein, nicht voller Ungeduld, wie sie angenommen hatte; Frau Sybille Katja Hufnagel-Kammer ist Pianistin gewesen, da hält man die Finger nicht still. Sie wollte die Wagentür öffnen und auf die Straße hinausschreien, statt dessen nahm sie ihr Handy und rief Katjas alte Freundin an, Sabine Klein.
    »Gibt es neue Erkenntnisse?« rief die geziert, wahrscheinlich hörte jemand zu.
    »Nur eine Frage«, sagte Ina. »Erinnern Sie sich an Karl Hufnagel?«
    »Wen?«
    »Er war Schlagzeuger bei ihr.«
    »Ja, natürlich«, schrie Sabine Klein, »der Charly! Was ist denn mit dem?«
    »Das frag ich Sie ja. Waren die zusammen?«
    »Ach du lieber Himmel, Charly? Nein, mit Bandkollegen hat sie doch nichts angefangen. Charly war wohl hinter ihr her, aber da war er nicht der einzige. Sie hat das ignoriert, hat sich immer ein bißchen über ihn lustig gemacht. Charly war treu, wissen Sie? Der hat ihr brav alles hinterhergetragen, Mikro, Koffer, das war ein Gutmütiger.«
    »So.« Ina versuchte sich an einem Cabrio vorbeizuschlängeln, was mißlang. Hämisch glotzte der Fahrer herüber. »Haben Sie Katja immer Katja genannt?«
    »Ja, was denn sonst?« Sie kicherte blöd. »Schätzchen? Nein, so eng waren wir nicht.«
    »Katja ist nicht ihr erster Vorname.«
    »Aber natürlich ist – nein, warten Sie mal, nein.« Sabine Klein klang erstaunt. »Zu Hause bei ihren Eltern und von ganz alten Freunden wurde sie wohl anders genannt, ich komm jetzt nicht drauf. Es war ein Name, den sie gehaßt hat, der wurde immer so verhunzt, so wie man Tussi zu Tusnelda sagt, verstehen Sie, was ich meine? Aber sie hat sich immer nur Katja genannt.«
    »Schön«, sagte Ina. Hieß irgendeine Frau auf dieser Welt Tusnelda? War das ein Name oder eine Strafe? »Das war’s schon.«
    »Halten Sie mich auf dem laufenden?«
    »Danke, tschüs.« Dämliche Kuh. Als sie ausstieg, um sich zu überzeugen, daß es an der Kreuzung kaum weiterging, blickte sie wieder in das grinsende Gesicht des Cabrio-Fahrers. Na gut. Sie schob das Blaulicht aufs Dach, stellte das Signal an und machte ihm ein Zeichen, zurückzufahren – noch ein Stück, na komm, dein Hintermann hat’s doch auch kapiert. An einem anderen Tag wäre beim Anblick dieser einfrierenden Gesichtszüge ihre Stimmung jetzt wohl obenauf, doch alles, was sie spürte, war ein Ziehen im Magen, als ginge es zum Zahnarzt, der mit drei Spritzen wartete und einer Zange.
    Es ging immer noch nicht schnell genug.
    Viel später war es eine Weile das einzige, woran sie sich wirklich erinnerte: die Fahrt zu ihr. Bleifuß auf dem Gas und Stimmen im Kopf, Sabine Klein, die über ihre Freundin sagte: »… es war der Ausdruck, es waren die Augen.«
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