Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Göring-Verschwörung

Die Göring-Verschwörung

Titel: Die Göring-Verschwörung
Autoren: Achim Müller Hale
Vom Netzwerk:
1
    Womöglich war er im Begriff, einen Fehler zu begehen, für den er bald teuer bezahlen würde. Jetzt, wo er dabei war, den vertrauten Boden der Insel zu verlassen, begannen seine im Verborgenen gehegten Zweifel mit Verspätung aus ihren Löchern zu kriechen.
    Die schwarz-graue Junkers 52 der Deutschen Lufthansa erwartete ihre Passagiere auf dem regennassen Rollfeld des Airports London-Croydon. An ihrem Heck prangte das Hakenkreuz als stolzes Symbol eines neuen, dynamischen Zeitalters. Henry Clarson hielt inne. Wie zur eigenen Ablenkung ließ er seine Hand zu der unter Belastung stets schmerzenden Stelle über dem linken Knie wandern, wo sich vor Jahren die Seitenverkleidung eines Bristol-Bulldog-Doppeldeckers in das Fleisch gebohrt hatte.
    Seine Frau stand ein paar Schritte vor ihm, mit den Händen an Kleid und Hut dem böigen Wind trotzend, und warf ihm einen forschenden Blick zu. Clarson rieb sich den Nacken, zog den Borsalinohut tiefer und richtete den Kragen seines Mantels auf, einer Maßanfertigung von Rooster and Langard mit verstärkten Schultern und ohne Gürtel getragen, dessen dunkelblaues Wollgarn an die Winterkleidung der Royal Air Force erinnerte. Er ließ sein Gewicht noch einen Augenblick auf dem Silberknauf seines Stocks ruhen , dann schloss er zu ihr auf.
    Am Fuß der kleinen Treppe zur Passagierkabine empfing sie eine hochgewachsene, blonde Stewardess mit strahlendem Lächeln und kalten Augen, die diensteifrig ihre Namen erfragte und auf der Fluggastliste in ihrem Arm mit einem Häkchen versah. Mühsam erklomm Clarson mit seinem versteiften Bein die fünf Stufen und betrat geduckt den Innenraum. Er hasste Treppen. An Bord erwartete ihn ein junger Pilot, der seine Passagiere mit militärischem Habitus und selbstgefälligem Handschlag begrüßte: »Willkommen an Bord, angenehmen Flug in die Reichshauptstadt!«
    »Vielen Dank«, antwortete Clarson, sich ein Lächeln abringend, »sehr freundlich von Ihnen.« Er sprach fließend Deutsch, untermalt von einem englischen Akzent. Sein alter Herr, Österreicher von Geburt, hatte ihn zweisprachig erziehen lassen und er erntete nun die Früchte der väterlichen Beharrlichkeit.
    Die enge, überheizte Kabine war mit Einzelplätzen rechts und links des Gangs ausgestattet. Mit ihren Hutablagen über den Sitzen und Gardinen in beige vor den kleinen Fenstern ähnelte sie einem offenen Zugabteil der zweiten Klasse, bloß war sie schmaler und kürzer und entsprechend für nur sechzehn Passagiere ausgelegt. Die Stewardess verriegelte die Luke und wies ihnen ihre Plätze an.
    Clarson ließ kurz den Blick schweifen, bevor er sich niederließ. Der Mann im Sitz hinter ihm hatte sich bereits in einige Papiere vertieft, die er auf dem kleinen ausklappbaren Tisch unterhalb des Fensters ausgebreitet hatte. Geschäftsleute machten augenscheinlich die Mehrheit der Passagiere an Bord aus. Clarson glaubte auch ein paar Armstrecker , wie er sie nannte, ausgemacht zu haben. Auslandsdeutsche, die sich auf englischen Straßen mit Heil Hitler grüßten und Ausflüge nach Berlin unternahmen, um neues Überlegenheitsgefühl zu tanken.
    Das Flugzeug rollte an und der Lärm der drei Rotoren, von den gepolsterten Blechwänden nur wenig gedämpft, dröhnte ihm in den Ohren. Er versuchte, es sich in dem kleinen, schmalen Sitz bequem zu machen für die sechshundert Meilen in der langsamen Maschine. Das gestreckte linke Bein hatte er in den Gang gelegt. Seit der Bruchlandung, die sein Kniegelenk zerschmettert hatte, glich dieses Bein einem hinderlichen Stück Gepäck, das man ständig mit sich führte und, sobald man Platz nahm, irgendwo abstellen musste.
    Ariane hielt den Blick stur geradeaus gerichtet, die Armlehne fest umklammert. Er lehnte sich über den Gang und sagte an ihren strohblonden Lockenkopf geneigt: »Ganz zuverlässige Maschine.«
    »Es ist nicht der Flug. Es ist   …«
    Er nickte und legte die Hand auf ihren Arm.
    »Ich wollte nur sagen, wie ich mich fühle«, raunte sie.
    »Gefährlich genug«, gab er flüsternd zurück.
    Ariane wandte sich ab. Es gefiel ihm nicht, dass sie ihn begleitete. Doch es hatte keine andere Möglichkeit gegeben. Sie war das Verbindungsglied, das die ganze Angelegenheit erst möglich machte.
    Sie sprachen wenig während des Fluges. Ariane vergrub sich in Modezeitschriften, um sich von der Beklemmung abzulenken, die ihr das Fliegen bereitete und die Möglichkeit, gleich bei der Ankunft verhaftet zu werden. Clarson beobachtete die bauschigen Wolken
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher