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Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide

Titel: Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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aus, seine fremdartige Stimme erklingen zu lassen. Und die Fragen, die es in ihrem Kopf entstehen ließ, lenkten sie von den anderen ab; es waren eher beunruhigende Fragen, die manchmal ihre Nachtruhe störten. Tsuuka strich über die schimmernde Stoffbahn. Die Seide schien darauf zu reagieren; sie zerrte an den Pfosten, um etwas von der Wärme ihrer Hand zu erhaschen.
    »Liebst du deine Freiheit?« fragte Tsuuka laut. Diese Seide war als einzige unempfänglich für ihre Gedanken. Und sie konnte auch nicht in ihrem Kopf wispern. Tatsächlich redete sie nur selten in einer Art, die Tsuuka verstand.
    Da sie fest an den Pfosten gezurrt war, konnte die Seide nichts erwidern.
    »Liebst du deine Freiheit?« wiederholte Tsuuka und lokkerte allmählich die Spannung der weißen Seide.
    Die leichte Brise fing sich in dem leicht flappenden Tuch und schlug eine tonlose Note an, hoch und vibrierend. Zugleich redete der Stoff mit einer anderen Stimme, in einem niedrigeren Register. Die Worte, die sie formulierte, waren unverständlich, in einer fremden Sprache gesprochen, scharf artikuliert und spröde vor Ungeduld.
    Tsuuka verengte die Augen, berührte erneut den Pfosten und lockerte den Stoff noch mehr. Sofort bauschte er sich im
    Wind, und seine beiden Stimmen wurden lauter; die eine sang ng ohne Worte, die andere redete in fremdartiger, spröder Eindringlichkeit.
    Du bist sehr unzureichend gestimmt«, vermutete Tsuuka und fuhr mit dem Handrücken den wellenschlagenden Stoff entlang.
    Die Seide sang und sprach weiter, ohne ihre Bemerkung zu beachten; die Worte hatten einen harten Klang, scharf und brutal. Gelegentlich vernahm Tsuuka eine Folge rasch hervorgestoßener Worte, die sie beinahe zu verstehen glaubte; als entstammten sie ihrer eigenen Sprache, würden aber falsch betont; die Worte waren zu harsch geformt und zerfielen zu übergangslos in ihre Einzelelemente. Ein- oder zweimal verstand Tsuuka sogar den Ausdruck ›Sithi-Jäger‹, den Namen ihrer Rasse.
    Sie dachte nach, als sie sich in den Tüchern rekelte. Die Sternenseide war ein Rätsel. Ihr Gesang verdiente kaum diese Bezeichnung. Er hatte keine beruhigende Wirkung, und die Fähigkeit zu trösten war ihm ebenfalls nicht zu eigen. Dennoch hatte sie den Kopiermeister eines Tages am Fluß darüber sprechen hören – als die Spinner sie frei in die Luft gespannt hatten – und sich gewünscht, eine Kopie davon für sich zu haben. Wenige andere Sithis besaßen eine. Ihre Stimmen waren zu ungefällig, die Worte bedeutungslos. Aber Tsuukas Nächte waren einsam ohne Geschwister, und die Sternenseide bot ihr Zerstreuung.
    Die Spinner hatten die Seide auf ihr Verlangen hin angefertigt, während sie über ihre Holzwebstühle gebeugt raunten und die klebrigen Fäden ausschieden, die in ihren Halsdrüsen entstanden, sie verwoben und zu einem stummen, glatten Tuch verarbeiteten. Wenn das Stück Tuch fertig war, eilten sie mit dem stummen Gewebe und dem gesondert aufgerollten Kopiermeister fort zu ihren Nestern. Was dort vor sich ging, war geheim. Kein Sithi hatte es je gesehen, aber Tsuuka wußte, daß es mit Mondschein und Wind verknüpft war – und mit einer weiteren Substanz aus den Halsdrüsen der Spinner, die wäßrig statt klebrig war und beißend roch.
    Später in derselben Nacht hatten die Spinner die neue Seide im Fluß gewaschen und zum Trocknen aufgehängt.
    Ihre Stimme hatte die mondlichtgefleckte Lichtung unter den Bäumen mit einer unerklärlichen Spannung erfüllt, als hätte der Erschaffungsprozeß schlummernde Geister erweckt, die gegen das Unrecht eines früheren Daseins protestierten. Die neue Seide hatte beinahe ebenso rasch gesprochen und so spröde gesungen wie der Kopiermeister, obgleich sie sich nicht ganz so ärgerlich um den Pfahl geschlungen und nicht derart entsetzlich an den Knoten gezerrt hatte, mit denen sie befestigt gewesen war.
    Spannung ... es lag Spannung in der Sternenstimme, Ungeduld und das unbefriedigte Verlangen, sich mitzuteilen. Und diese Frustration wurde deutlich, wenn gelegentlich einige Worte in der Sprache der Sithis erklangen, wie etwa jetzt: »Von so weit jenseits eurer Sonne, Sithis; weit, weit jenseits eurer Sonne ...«
    Wie hatte die Seide gelernt, die Sithisprache zu sprechen? Und was meinte sie mit ›weit jenseits eurer Sonne‹? Dies war ein weiteres unlösbares Rätsel. Sie würde nie herausfinden, weshalb die Sternenseide sowohl in der Sprache der Sithis als auch in der fremden Sprache redete. Sie würde nie erfahren,
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