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Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide

Titel: Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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und schleppte sich stöhnend in die lauernden Schatten.
    Etwas Gequältes hatte in dieser Bewegung gelegen; etwas Mitleiderregendes. Aber Tsuuka war unfähig gewesen, etwas zu unternehmen, weil sie nicht gewußt hatte, was zu tun war. Sie war nicht einmal in der Lage gewesen, Maiilin dazu zu überreden, daß sie zu ihr zurückkam. Und als sie gelaufen war, um ihre Mutter und die anderen erwachsenen Sithis zu holen, hatten sie sich geweigert, mit ihr zu kommen. Sie hatten sich sogar geweigert, Tsuuka darüber aufzuklären, was dort vorging.
    Tsuuka hatte es erst viel später erfahren, als ihre Schwester sich in einen Grummler verwandelt hatte. Sie hatte nicht einmal geahnt, daß etwas Derartiges geschehen konnte. Sie hatte die wenigen Grummler, die den Wald durchstreiften, für Mißbildungen gehalten; wie Pithas Junge, deren Läufe verkrümmt waren, oder Manoos Nestlinge, die blind zur Welt gekommen waren. Sie hatte nie etwas Gegenteiliges gehört, weil die Sithis nicht über die Grummler sprachen. Über dieses Thema herrschte furchtsames Schweigen.
    Und daher war sie jetzt allein, bis auf ihre Jungen, ihrer Nestschwester beraubt, die ihr Leben geteilt hätte, die mit ihr gejagt und sich gesonnt hätte, die ihre Jungen zusammen mit ihren verwandtschaftlich erzogen hätte. Die zunehmende Beunruhigung machte Tsuukas glitzernde Augen stumpf.
    Wie um ihre Stimmung zu unterstreichen, schrie in diesem Moment ein Grummler in den dichtstehenden Bäumen. Die heisere Stimme hallte unheilvoll wider.
    Tsuukas Ohren stellten sich auf. Sie rannte zu der seidenen Wandverkleidung und zerrte den sonnengelben Stoff beiseite. Aber wollte sie den Grummler sehen? Wollte sie die Derbheit seiner Gesichtszüge sehen und die Leere in seinen Augen? Sie knurrte leise, trat zurück und ließ die gelbe Seide wieder auf ihren Platz fallen. Rasch zurrte sie die Sternenseide straff, dann löste sie mit bebenden Fingern die azurblaue Singseide.
    Das Gewebe bauschte sich sofort im leichten Wind. Seine Stimme erklang wispernd in der Kammer; leise, ersterbend.
Bist du Tsuuka?
    Ich bin Tsuuka, und ich bin verzweifelt,
rief sie lautlos.
Sing, Seide! Laß deinen Gesang mich wieder froh machen!
    Eine Weile war nur ein seidiges Rauschen zu vernehmen. Dann kam die schwache, hauchende Stimme wieder.
Wenn du Tsuuka bist ...
    Tsuuka projizierte ihr Verlangen noch einmal, machtvoll und dringlich, als der Grummler wieder in den Bäumen schrie.
    Ich bin Tsuuka, und ich befehle dir, zu singen!
    Aber meine Schwestern,
wandte der Stoff mit klagender Stimme ein.
Meine Schwestern sind zum Schweigen gebunden, Tsuuka.
    Und meine Schwester ist ein Grummler, verloren in den fernen Regionen des Waldes!
erwiderte Tsuuka ungeduldig.
Und du weißt auch, daß deine Schwestern nicht singen können, wenn der Mond untergegangen ist. Aber für dich reicht das Licht, Himmelsseide. Der Mond ist unter den Horizont gesunken, aber es sind hohe Wolken am Himmel, die einen Teil seines Lichtes zurückwerfen.
    Sing für mich, besänftige mich, oder ich zerreiße dich und werfe dich weg.
    Das Gewebe erbebte.
Ich bin kein stimmloser Fetzen, den du zerreißen und fortwerfen könntest. Ich bin deine Seelenseide.
    Du wirst es erleben, wenn du mir das Lied verweigerst! In meinem Kopf sind wieder Nachtmahre, Seide.
    Eine leichte Brise seufzte in der gelockerten Stoffbahn. Es
sind nicht die Nachtmahre, die dich früher heimgesucht haben. Diese Nachtmahre entstammen deinen Gedanken, nicht unseren. Aber binde mich nur vom Pfosten, und ich will für dich singen, Tsuuka, meine Jägerin.
    Tsuuka zögerte kurz, dann führte sie die bebende Pfote an den Pfahl.
    Das Seidentuch entrollte sich, sein loses Ende flatterte frei im Wind. Während das Gewebe tanzte, mal niedersank, mal sich wand, spielten Schatten an ihm auf und ab und bildeten ständig wechselnde Muster. Das Lied, das die Seide sang, war süß und sanft; eine Reflexion des eingesammelten Lichtes. Als der Grummler nochmals schrie, hörte Tsuuka ihn kaum.
    Später, als sie aus dem jubelnd aufsteigenden Ton des Seidengesanges erriet, daß die Sonne dicht unterhalb des Horizontes stand, wickelte Tsuuka die Seide auf, befestigte sie und streckte sich auf der Stummseide aus, um sich für den Tag zu putzen.
    Noch waren die peinigenden Fragen gegenwärtig und nagten an den Rändern ihres Denkens. Weshalb hatte sich Maiilin in einen Grummler verwandelt? Hatte sie gesehen, was kein Sithi jemals erblicken durfte? Was mochte es sein, und wer war die
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