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Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide

Titel: Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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1 Tsuuka
    Als Tsuuka ihre Jungen besänftigt hatte und sie sich auf den kuscheligen Seidenbahnen des Nestes zusammengerollt hatten und eingeschlafen waren, kletterte sie zu ihrem eigenen, abgelegenen Nest zwischen den tieferen Ästen ihres Baumes hinab. Es war die dritte Nacht, seit sie Singträume angenommen hatte, und die Barrieren, die ihr Geist gegen die Nachtmahre errichtet hatte, gaben allmählich nach. Düstere Bilder drängten sich gegen ihre Augenlider und machten sie schwer. Peinvoll streckte sie sich auf den Stummseiden am Boden ihres Nestes aus, ließ das kühle Gewebe über ihre fellbedeckten Läufe gleiten und gestattete sich, in einen kurzen, leichten und traumlosen Schlaf zu fallen. Selbst im Schlummer kontrollierte sie ihre Schlaf tiefe und erlaubte ihrem Bewußtsein nicht, ihr völlig zu entgleiten. Denn hätte sie es zugelassen, wäre sie den Nachtmahren ausgeliefert gewesen, die an den ungeschützten Grenzen ihrer Erschöpfung schwebten.
    Als der Mond aufging und das Gewebe hell erglänzen ließ, das die Wände ihres Nestes bildete, schreckte sie zu neuer Wachsamkeit auf. Sie erhob sich, stieß erst die scharlachrote Seide fort, dann die bernsteinfarbene, und streckte sich wieder aus. Der kurze Schlaf war noch in ihren Gliedern, eine kaum merkliche Wärme; aber die Müdigkeit lastete noch schwer auf ihrem Körper, und die Nachtmahre bedrängten sie hartnäckig mit ihren schwarzen Klauen. Sie brummte leise, rollte sich wieder in die Stummseide und putzte sich; fuhr mit der rauhen Zunge durch den glänzenden, kastanienfarbenen Pelz. Sorgfältig leckte sie die staubigen Spuren des Tages fort. Das Mondlicht ließ die Feuchtigkeit, die ihre Zunge hinterließ, wie Diamanten aufglitzern.
    Aber sie konnte ihre Erschöpfung ebensowenig fortputzen, wie es ihr zuvor gelungen war, sie fortzuschlummern. Als ihr Fell trocknete, überfiel sie erneut unwiderstehliches Verlangen nach Schlaf, und sie wußte, daß er diesmal nicht leicht und traumlos sein würde. Die eigenartige Spannung, die an ihren Muskeln zerrte, war unmißverständlich. Sie wußte, daß sie Singträume annehmen mußte, bevor sie wieder einschlief, oder sie würde in den Abgrund der Nachtmahre stürzen. Und sie hatte nicht einmal einen Nestgefährten, der sie hielt, wenn sie sich gegen den schwarzen Nestrand hin und her würfe.
    Schaudernd und unwillig erhob sie sich vom Lager. Sie drapierte die Scharlach- und die Bernsteinseide wieder an ihren Platz, schloß den neugierigen Mond aus und löste die azurfarbene Singseide, die eng gegen das Flechtwerk des Nestes gezurrt war. Es war ihr Himmelsgespinst; ihre Nestgenossin; die Seide, die sie erwählt hatte, daß sie ihre geheimsten Gedanken teilte.
    Das Gewebe reichte sogleich nach dem Mondlicht, trillerte fröhlich und stimmte sich auf seinen Gesang ein. Zugleich formulierte es seine rituellen Fragen, die sanft in Tsuukas Geist erklangen.
    Tsuuka? Bist du Tsuuka, die Tochter Miralas, Schwester Maii-lins? Bist du Tsuuka, die Mutter Dariims und Faletts, Palaans und Kaliirs?
    Tsuuka reckte ihre schmerzenden Muskeln und krümmte Finger und Zehen, bis ihre schwarzen Krallen ausfuhren.
Ich bin Tsuuka!
rief sie in stummer Erwiderung.
    Ein leichter Wind ergriff die himmelblaue Seidenbahn, brachte sie zum Flattern und ließ ihren hörbaren Gesang zunehmend klarer erschallen. Sogar ihre tonlose Stimme wurde ausgeprägter.
    Bist du Tsuuka, die Jägerin des Waldes und der Lichtungen? Tsuuka, die sich unhörbar anpirscht, unfehlbar anspringt, und deren Junge und Nestlinge immer wohlgenährt und gepflegt sind?
    Ich bin Tsuuka!
rief sie wieder, lautlos auch diesmal, hin und her gerissen zwischen dem übermächtigen Drang, die Augenlider zu schließen, ihren Atem tief und gleichmäßig durch die Kehle strömen zu lassen, und dem restlichen Widerstand gegen das Einführungsritual der Seide. Die Stimme des Gewebes war süß und einschmeichelnd; sie versprach ihr, wonach sie verlangte. Aber sie wollte sich in dieser Nacht nicht den Singträumen hingeben; weder in dieser noch in irgendeiner anderen Nacht. Sie verabscheute die Hilflosigkeit, die mit ihnen verbunden war, so kurz sie auch anhalten mochte.
    Aber welche Wahl blieb ihr? Die Brise kräuselte die azurfarbene Singseide und rief einen sanft anklagenden Ton hervor.
    Wenn du Tsuuka bist, weshalb schweigen meine Schwester-Seiden? Warum hältst du ihre Harmonie gefangen?
    Auf diese Klage hin verzogen sich Tsuukas Lefzen zu einer Raubtiergrimasse, angespannt und mit
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