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Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman

Titel: Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman
Autoren: Michael Dibdin
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begegnet sind, mochte ich den Mann. Außerdem sind wir beide Immigranten.«
    Zen wandte sich ab.
    »Kommen Sie morgen wieder?«, rief der Gastronom hinter ihm her. »Es gibt Spaghetti mit Venusmuscheln.«
    Zen hielt inne. Der Name dieses unschuldigen Gerichts hatte die gleiche Wirkung auf ihn, als würde man ein vertrautes Gesicht in der Menge entdecken. Es war ein Gericht, mit dem er aufgewachsen war: das an weibliche Geschlechtsorgane erinnernde weiche, leicht knorpelige Muschelfleisch in den aufklaffenden Porzellangehäusen, die harte, unverfälschte Pasta umschmeichelt von dieser feinen Sauce, ein Hauch Knoblauch, ein Tropfen Öl, ein Schuss Wein …
    »Ich fahre morgen früh ans Meer, um die Muscheln ganz frisch direkt von den Booten zu kaufen«, fügte Nicodemo ermutigend hinzu.
    »Werden sie in Tomatensauce gekocht?«, wollte Zen wissen.
    » Ma certo! Genau so, wie meine Mamma sie immer gemacht hat.«
    Zen neigte respektvoll den Kopf. »Möge sie in Frieden ruhen.«
    An der nächsten Ecke ging er in ein Café, wo er zwei Tassen Kaffee trank und ein halbes Döschen Tic Tacs kaute, um den penetranten Geschmack von in Hammelfett gedünsteten Tomaten loszuwerden. Er war gerade beim zweiten Espresso, als etwas Merkwürdiges geschah. Plötzlich wurde es düster wie bei einer Sonnenfinsternis, durch die offene Eingangstür wehte der Wind herein, und die Zeitung, die verlassen auf einem Tisch lag, wurde Seite für Seite umgeblättert wie von der Hand eines unsichtbaren Lesers. Von draußen auf der Straße hörte man abgehackte Rufe durch das brodelnde Geräusch, das sich in die bleierne Stille geschlichen hatte. Tausende Eiskörnchen prasselten hüpfend auf das Pflaster, dann riss der Himmel auf und entließ Schallwellen, die die Erde erschütterten und in Zens Wasserglas kleine Wellen erzeugten. Im nächsten Moment verwandelte sich der Hagelschauer in einen sintflutartigen Regen, und innerhalb von Sekunden liefen alle Abflüsse über. Das Wasser staute sich und überflutete die Straße, wo die Leute, die von dem Unwetter überrascht worden waren, Aktentaschen und Zeitungen über ihre Köpfe hielten, um sich zu schützen, und zu den Lichtern des Cafés am anderen Ufer des unpassierbaren reißenden Stroms starrten, während diejenigen, die sicher und trocken drinnen saßen, es sich dort lachend und spottend behaglich machten.
    Und genauso plötzlich war alles vorbei. Der Regen hörte auf, die Wassermassen liefen ab, und es wurde wieder hell. Als Zen bezahlt hatte und das Café verließ, trockneten die Straßen bereits dampfend in der Sonne. Das Gemisch von Gerüchen aus den überforderten Abflüssen erzeugte zusammen mit dem Wasserdampf einen bleichen Dunstschleier, durch den er den Hügel hinauf zur Questura ging.

3
    Neuneinhalbtausend Kilometer weiter nordwestlich wachte Jake Daniels auf. Morgenlicht sickerte durch die Holzjalousien. In aller Ruhe überprüfte Jake zunächst die Funktion des Hauptprozessors und ließ ein Defrag-Programm durchlaufen, dann rollte er sich von der Matratze und stand auf. Das kaum hörbare Atmen von der anderen Seite des riesigen Betts behielt seinen gleichmäßigen Rhythmus bei. Er umschiffte die Untiefen des Schlafzimmers, trat hinaus in den Flur und schloss leise die Tür hinter sich. Madrona war zwar klasse, aber jetzt brauchte er seine Ruhe.
    Er machte Kaffee und lauschte der legendenumwobenen All-Girl-Band der Stadt, den Westward Ho’s, als das Telefon zum Leben erwachte. Wie zu erwarten, war es Martin. Martin war zwar auch klasse, aber er kannte keine Ausfallzeiten.
    »Yo.«
    »Wir müssen reden, Jake.«
    »Schieß los.«
    »Peter Newman, dieser Anwalt, der nach Europa geschickt wurde, um sich um logistische Unterstützung für die Filmkiste zu kümmern. Er wird vermisst.«
    »Er vermisst was?«
    »Nein, er ist vor drei Tagen verschwunden, wahrscheinlich gekidnappt. Deshalb müssen wir alternative Strategien entwickeln, um die negativen Auswirkungen zu minimieren, die dieser Zwischenfall auf unsere Mission haben könnte.«
    »Wann denn?«
    »Sofort. Wichtige Fragen der Granulation müssen geklärt werden, die Ergebnisse sind unseren restlichen Leuten hier zu übermitteln und anschließend an die Typen weiterzugeben, mit denen wir am Standort zusammenarbeiten.«
    »Was?«
    »Irgendwer muss sich mit dem Kleinkram rumschlagen. Vielleicht muss ich selbst mal hin. Mittagessen für dich okay?«
    »Meinetwegen.«
    Jake schenkte sich einen Becher Kaffee ein, nahm seinen BlackBerry in die
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