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Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman

Titel: Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman
Autoren: Michael Dibdin
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als der Kellner sich wie stets in einem Tonfall bedankte, der in der Grauzone zwischen widerwilligem Respekt und unverhohlener Aufsässigkeit lag. In dem Moment, als er aus dem klimatisierten Speisesaal in die unerträglich drückende Hitze auf der Straße kam, spürte er, wie seine Poren sich weit öffneten wie das Maul des Goldfischs, den er als Kind gehabt hatte. Er zündete sich eine Zigarette an und betrachtete das kleine Stück Himmel, das zu sehen war. Es war von einem strahlenden Blau, das langsam von bauschigen, leicht dunkel getönten Wolken verdrängt wurde, von deren Unterseite durchsichtige Fallstreifen herabhingen. Hinter ihm ging die Tür auf, und Nicodemo, der Besitzer des Restaurants, kam heraus und zündete sich ebenfalls eine Zigarette an.
    »Hat Ihnen Ihr Essen nicht geschmeckt?«, fragte er mit besorgter Miene.
    Zen wählte seine Worte mit Bedacht. »Es war sehr authentisch.«
    Nicodemo strahlte. Er hatte Zen bereits ausführlich erzählt, dass er un immigrante war. Nachdem er fast dreißig Jahre als Bauarbeiter in einer kanadischen Stadt namens Tronno verbracht hatte, war er nun in seine Heimat Kalabrien zurückgekehrt und hatte ein Restaurant eröffnet, das sich der Aufgabe widmete, die ursprüngliche Küche seiner Jugend zu erhalten und neu zu beleben.
    »Meine Mutter hat dieses Gericht zu ganz besonderen Anlässen gekocht und schon im Morgengrauen mit der Zubereitung begonnen«, vertraute er Zen in ehrfürchtigem Tonfall an. »Die Sauce braucht Stunden, aber das Aroma von am Knochen gekochtem Hammel und von dem Fett ist unvergleichlich.«
    »Es gibt sicher nicht viel, womit man es vergleichen kann. Ich habe wohl heute einfach keinen großen Hunger.«
    »Sie sind doch nicht etwa krank, dottore ?«
    »Nein, nein. Bloß ein bisschen überarbeitet, nehme ich an.«
    Nicodemo nickte weise. Es würde ihm natürlich nicht im Traum einfallen weiterzubohren - schließlich fragte man den örtlichen Polizeichef nicht aus -, aber ein verständnisvolles Wort war nie verkehrt. »Ah, diese furchtbare Geschichte.«
    Ein Schweigen breitete sich aus, welches der Gastwirt vielleicht nur deshalb brach, damit nicht etwa der Eindruck aufkam, er wäre indiskret gewesen.
    »Und wenn man sich vorstellt, dass er sogar mal hier gegessen hat!«
    »Hat ihm das Essen geschmeckt?«, erwiderte Zen mit einem Hauch von Sarkasmus, der bei seinem Gegenüber allerdings nicht ankam.
    »Aber natürlich! Auch er war gerade dabei, seine Ursprünge wiederzuentdecken, genau wie ich, als ich nach all den Jahren zurückgekehrt bin.«
    Zen warf seine Zigarette in den Rinnstein. »Entschuldigung, ich dachte, Sie hätten von dem amerikanischen Anwalt gesprochen.«
    »Das habe ich! Als ich sein Bild im Fernsehen sah, hab ich ihn sofort erkannt.«
    »Signor Newman hat hier gegessen?« Zen klang nicht mehr als höflich interessiert.
    »Nur einmal. Es hatte ganz plötzlich angefangen zu regnen. Er stellte sich eine Weile im Eingang unter, und als es immer noch nicht aufhörte, kam er herein. Er ließ sich von mir beraten, was er bestellen sollte, und nachdem er gegessen hatte, kamen wir ins Plaudern. Zuerst auf Italienisch, dann im Dialekt. Dem rauen von oben aus dem Sila-Gebirge. Er hatte ihn seit Jahren nicht mehr gesprochen, aber allmählich kam alles wieder. So wie man feststellt, dass man immer noch Fahrrad fahren kann, meinte er.« Nicodemo schüttelte den Kopf. »Er schien froh zu sein, dass er wieder zu Hause war, genau wie ich. Und nun passiert so etwas! Kalabrien kann hart sein zu seinen Söhnen.«
    Er fasste Zen leicht am Arm. Zen mochte es nicht, wenn Fremde ihn anfassten, doch er hatte gelernt, dass dies eine gängige dramatische Geste im Süden war, und unterdrückte das Verlangen, den Arm zurückzuziehen.
    »Ich sollte Sie das eigentlich nicht fragen, dottore , aber glauben Sie, es wird alles gut mit ihm?«
    Zen befreite seinen Arm mit einer weiteren dieser dramatischen Gesten, mit denen Männer ihren ausschweifenden Darlegungen in den Disputen auf der Straße Nachdruck verliehen, einer Angewohnheit, die im städtischen Leben Cosenzas genauso normal, häufig und bedeutsam war wie in der athenischen Agora.
    »In diesen Dingen gibt es keine Gewissheit. Doch der Sohn des Opfers soll in Kürze hier eintreffen, und mit ein bisschen Glück sollten wir bald anfangen können, ernsthaft zu verhandeln.«
    Nicodemo nickte servil und nahm Zens Hand. »Danke, danke! Vielleicht hätte ich ja nicht fragen sollen, aber obwohl wir uns nur kurz
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