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Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman

Titel: Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman
Autoren: Michael Dibdin
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andere Hand und ging hinaus auf die Terrasse. Die Sonne zeigte sich gerade über den Hügeln hinter dem Haus. Zum See hin hatte eine dicke schmierige Dunstschicht die teure Aussicht auf üppige Nadelbäume und morastiges Wasser in ein völlig verschwommenes Panorama verwandelt. Irgendein dunkler Agent in Gestalt einer Krähe landete mit unbeholfenem Flügelschlagen auf dem anderen Ende des Zedernzauns und tauchte dann ab, um ein Stück Wiener Würstchen oder Marshmallow von der gestrigen Grillparty zu ergattern. Jake lag zurückgelehnt in einem Schaukelstuhl, atmete die salzige Luft ein und zog Bilanz. Insgesamt sah er diese jüngste Entwicklung ganz cool. Ein absolut notwendiges Feature jedes geilen Spiels war, dass immer dann irgendwas echt Beschissenes passierte, wenn man glaubte, man hätte alles unter Dach und Fach. Und wenn man bedachte, wer bei diesem speziellen Abenteuer der Gamemaster war, würde es immer klasse Überraschungen geben. Was ganz okay war. Jake hatte selbst ein paar Überraschungen in petto.
    Spiele waren so ziemlich sein einziger Lebensinhalt gewesen, seit er auf dem College frühe Klassiker wie Mario und Pac-Man entdeckt hatte. Schlicht und primitiv, wie diese Pionierversuche im Nachhinein betrachtet gewesen waren, hatten sie ihn dennoch angesprochen wie nie etwas zuvor. Der Drang, den verfügbaren Spielen weitere Ebenen und Features hinzuzufügen, und das auf elegante Weise, ohne die schwachsinnige Software, auf der diese Spiele basierten, zum Absturz zu bringen, hatte ihn bewogen, im Hauptfach von Maschinenbau zu Informatik zu wechseln. Es stellte sich heraus, dass er ein absolutes Naturtalent im Programmieren war, und zwei Jahre nach dem Examen bekam er einen Job am Redmond Campus. Jake hatte zwar nicht zu den legendenumwobenen Gründervätern gehört, doch er besaß einen nicht unbedeutenden Anteil, und Ende der neunziger Jahre beliefen sich seine Aktienoptionen, nachdem sie sich mehrfach verdoppelt hatten, auf ein ganz hübsches Vermögen. Dann hatte er Glück gehabt oder war vielleicht einfach nur clever gewesen.
    An einem Tag im Sommer 1998 war er in einem Restaurant in der Innenstadt, das ein Wettspiel veranstaltete, wie der Dow-Jones-Index am Ende des Jahres stehen würde, mit seiner Börsenmaklerin verabredet gewesen. Die Tipps wurden auf einer Tafel im hinteren Teil der Bar angezeigt, und als Jake auf die Zahlen starrte, spürte er ein vertrautes Kribbeln im Bauch, wie wenn man weiß, dass irgendwo in dem Programm, das man gerade geschrieben hat, dieses Monster Fatal Error lauert. Als seine Maklerin schließlich auftauchte, beauftragte er sie, seine sämtlichen Aktien zu verkaufen, womit er möglicherweise zu dem spektakulären Zusammenbruch des NASDAQ wenige Wochen später beitrug. Anstatt jedoch zu versuchen, sich als Finanzgeier neu zu erfinden, oder sein Kapital für irgendein junges Dotcom-Unternehmen zu verpulvern, das sich der Revolutionierung des amerikanischen Kaufverhaltens bei Toilettenpapier widmete, hatte er alles gerade rechtzeitig in Immobilien gesteckt, um beim größten Häuserboom, den die Stadt je erlebt hatte, kräftig abzusahnen. Das hatte ihm ein noch größeres Vermögen eingebracht, doch das Beste von allem, es hatte ihm Madrona eingebracht, die bei der Firma, die sein Investment-Depot verwaltete, die Kunden begrüßt hatte. Okay, er war fünfundvierzig und sie dreiundzwanzig, aber was soll’s? Altern war eine Option, und Jake hatte sich anders entschieden.
    Erst als sie verheiratet waren, fand er heraus, dass Madrona aus einer christlich-fundamentalistischen Familie stammte und glaubte, wenn die Endzeit gekommen sei, würden die Gläubigen in der Rapture, der Entrückung, in den Himmel versetzt, während sich Jesus und der Antichrist unten auf dem verbrannten Ödland die Köpfe einschlagen würden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich Religion ziemlich weit außerhalb von Jakes Radarsystem befunden, doch je mehr er von der nahenden Apokalypse hörte - und Madrona hatte ihm, besonders in der Anfangszeit, reichlich davon erzählt -, desto mehr interessierte ihn das. Zwar hatte er die Verkaufsgespräche und Bettelbriefe des schmierigen Pfarrers aus der Glas-und-Laminat-Kirche, die Madrona besuchte, nicht ernst genommen, aber das Werbematerial der Kirche und ein bisschen Surfen im Internet machten ihm klar, wo es langging und dass Millionen von Amerikanern, einschließlich des Präsidenten, daran glaubten.
    Das God Game war sicher die größte immersive
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