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Staub Im Paradies

Titel: Staub Im Paradies
Autoren: Ernst Solèr
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und will schnellstmöglich zu uns nach Sri Lanka fliegen. Auch Teile von Jürg Deiss’ Verwandtschaft haben sich bereits in Bewegung gesetzt, wir erwarten sie spätestens übermorgen vor Ort.
    Wir sind unterwegs zu dem Verletzten im Spital in Pelmadulla. Wir, das sind Chief Inspector Verasinghe, ich selbst und Annas neuer Freund, Tschaggat Kanagasundram, der angespannt hinter uns auf dem Rücksitz hockt. Der Mann war auf mich losgestürzt, kaum dass wir das Hamawella Malaria Research Center erreicht hatten – eine recht beachtliche Ansammlung von neu errichteten Bungalows, Wohncontainern und Wellblechhütten mitten im Dschungel, die sich um eine beeindruckend große, hölzerne Villa im Kolonialstil gruppiert. Tschaggat hatte sich zunächst sehr formell vorgestellt und sich dann fassungslos angehört, was geschehen war. Die Sorge um Anna stand ihm ins Gesicht geschrieben und schien echt zu sein, das muss ich einräumen. Er behandelte mich mit fast schon übertriebenem Respekt. Ich bekam in der Folge so ungefähr alles angeboten, was die Station zu bieten hat, von frischen Kleidern über das beste und größte Zimmer in der Villa bis hin zu Marlboro-Zigaretten und generatorgekühltem Importbier. Tschaggat gelang es nach unzähligen Versuchen auch, Anna auf ihrem Handy zu erreichen. Er kam danach sofort zu mir und berichtete, sie befände sich wohlbehalten im Spital. Jürg Deiss werde gerade operiert.
    Ich staune fast ein wenig über mich selbst, aber ich bin tatsächlich bereit, dem Mann eine Chance einzuräumen. An Tagen, an denen man den Tod so unmittelbar vor Augen hat, wird man bescheiden und demütig. Zudem wird erfahrungsgemäß auch diese Liebe meiner Tochter nicht bis in alle Ewigkeit halten – also soll sie es doch von mir aus mit diesem Tschaggat versuchen. Immerhin scheint er durchaus erfolgreich in seinem Beruf zu sein und weist angenehme Umgangsformen auf – das ist wahrlich mehr, als man über die meisten seiner Vorgänger sagen kann. Zudem sieht Tschaggat wirklich gut aus, groß, durchtrainiert und mit einem hübschen Gesicht. Mal sehen, wie er mit Leonie klarkommt. Vielleicht sollte ich ihn darauf hinweisen, dass es diesbezüglich von Vorteil wäre, wenn er begeisterter Reiter oder Polospieler wäre.
    Verasinghe gibt mächtig Gas, die Raserei scheint den Leuten hier wirklich im Blut zu liegen. Wir passieren eine improvisierte Straßensperre und sind schon bald wieder zurück am Tatort. Noch immer tummelt sich dort allerhand schwer bewaffnetes Militär. Verasinghe brettert ungerührt mitten in die Uniformierten hinein, die sich erschrocken in Sicherheit bringen, vollführt ein halsbrecherisches Bremsmanöver und pfeift seinen steifbeinigen Kollegen heran, der ihm kurz etwas ins Ohr tuschelt. Ich verstehe natürlich kein Wort. Wie die Leute mit ihrer unkoordinierten Arbeitsweise den Fall je aufklären wollen, ist mir ein Rätsel. Aber Verasinghe wirkt zuversichtlich und braust, nachdem er dem Hinkenden lautstark einige Anweisungen erteilt hat, ungerührt weiter. Sein Polizeijeep röhrt noch lauter als das Gefährt von Anna, weswegen eine Unterhaltung kaum möglich ist.
    Plötzlich steuert Verasinghe nur noch mit einer Hand und beginnt mit der anderen, so lange an den Schaltern des Radios herumzustöpseln, bis er einen Sender findet, bei dem es sich dem Gebrüll nach um so etwas wie den Polizeifunk handeln könnte. Zufrieden ob des zusätzlichen Lärms konzentriert er sich wieder auf die Straße und hupt entgegenkommende Autos und Viehkarren entschlossen zur Seite. Der Jeep schlingert wie ein Dampfer in einem Orkan. Würde ich mich nicht am Türgriff und am Sitz festklammern, hätte es mich vermutlich längst aus dem Wagen katapultiert.
    Ich drehe mich kurz zu Tschaggat um und sehe, dass auch er einen eher verkrampften Gesichtsausdruck zur Schau trägt.
    »Reiten Sie?«, frage ich ihn.
    Natürlich versteht er mich inmitten des Lärms nicht und blickt mich mit großen Augen fragend an.
    »P-F-E-R-D-E«, rufe ich ihm zu, so laut ich kann. »Können Sie reiten?«
    Er betrachtet mich verwundert, lehnt sich dann aber vor und schreit mir ein Ja ins Ohr.
    Wir werden an einer weiteren Straßensperre unnötig aufgehalten und erreichen Pelmadulla erst kurz vor Sonnenuntergang, geschüttelt und gerührt. Das Spital steht direkt an der viel befahrenen Hauptstraße und entpuppt sich als hässlicher viergeschossiger Block aus Beton. Das Ungetüm ist mit weißer Farbe getüncht, die im Abendrot lila schimmert, und
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